An dieser Stelle finden Sie Urteile rund um das Thema "Widerruf von Darlehensverträgen" und Rückerstattung von Vorfälligkeitsentschädigungen.
Wir bemühen uns, die Entwicklung der Rechtsprechung repräsentativ und aktuell nachzuzeichnen. Sollte doch das eine oder andere wichtige Urteil fehlen, freuen wir uns über einen kurzen Hinweis unter mail@kredit-widerrufen.com.
Mit Urteil vom 15. Mai 2024 (Az.: VIII ZR 226/22) hat der unter anderem für das Kaufrecht zuständige VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs entschieden, dass einem in Deutschland wohnhaften Verbraucher hinsichtlich über Fernkommunikationsmittel mit einem in der Schweiz ansässigen Unternehmen ohne Widerrufsbelehrung abgeschlossener "Kauf- und Dienstleistungsverträge" über Teakbäume in Costa Rica ein Widerrufsrecht zusteht und dass dieses nicht zeitlich befristet ist.
Dem Urteil liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Die Beklagte, ein in der Schweiz ansässiges Unternehmen, bot über ihre Internet-Homepage Interessenten den Ankauf von Teakbäumen auf Plantagen in Costa Rica an, um nach Jahren mit dem Verkauf des Holzes dieser Bäume eine Rendite zu erzielen ("Teakinvestment - Das natürliche Kraftpaket für ihr Portfolio"). Zusätzlich offerierte die Beklagte ihren Kunden, die erworbenen Bäume während der Laufzeit des Vertrages zu bewirtschaften, zu verwalten, zu schlagen, auszuforsten, zu ernten und zu verkaufen.
Der in Deutschland wohnhafte Kläger schloss in den Jahren 2010 und 2013 mit der Beklagten über Fernkommunikationsmittel jeweils einen "Kauf- und Dienstleistungsvertrag" über 800 beziehungsweise 600 Teakbäume für 37.200 € beziehungsweise 44.000 € mit einer Laufzeit von 17 beziehungsweise 14 Jahren. In den AGB der Beklagten ist bestimmt, das Vertragswerk unterstehe Schweizer Recht und Streitigkeiten unterstünden einzig der ordentlichen Gerichtsbarkeit am Sitz der Beklagten in der Schweiz; weiterhin wird die Anwendung des Wiener Kaufrechts (CISG) ausdrücklich ausgeschlossen. Über etwaige Widerrufsrechte wurde der Kläger nicht belehrt.
Spätestens mit der Klageschrift vom August 2020 hat der Kläger seine auf die beiden Vertragsabschlüsse gerichteten Willenserklärungen widerrufen.
Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs:
Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass dem Kläger ein Anspruch auf Rückzahlung der von ihm gezahlten Entgelte unter Abzug bereits erhaltener Erlöse, Zug um Zug gegen Rückübertragung der Rechte aus den Kauf- und Dienstleistungsverträgen, nach § 312b Abs. 1 Satz 1, § 312d Abs. 1 Satz 1, § 355 Abs. 1, § 357 Abs. 1 Satz 1 BGB in der bis zum 12. Juni 2014 geltenden Fassung (aF) in Verbindung mit § 346 Abs. 1, § 348 Satz 1 BGB zusteht.
Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte für den vorliegenden Rechtsstreit folgt aus Art. 15 Abs. 1 Buchst. c, Art. 16 Abs. 1 Alt. 2 des Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, geschlossen in Lugano am 30. Oktober 2007 (im Folgenden: LugÜ II). Der Kläger hat in Bezug auf die Verträge vorliegend als Verbraucher gehandelt und die Beklagte hat ihre gewerbliche Tätigkeit auf der Grundlage der Feststellungen des Berufungsgerichts auf Deutschland ausgerichtet. Die in den AGB der Beklagten enthaltene Regelung über die ausschließliche Zuständigkeit der Gerichte am Sitz der Beklagten in der Schweiz ist nach Art. 17 LugÜ II unwirksam.
Die streitgegenständlichen Verträge unterliegen gemäß Art. 6 Abs. 1 Buchst. b Rom I-VO dem materiellen deutschen Recht; Art. 6 Abs. 4 Buchst. a und c Rom I-VO sind nicht einschlägig. Der Anwendbarkeit des materiellen deutschen Rechts steht die von den Parteien in Ziffer 27 der AGB gemäß Art. 6 Abs. 2 Satz 1 Rom I-VO getroffene Wahl des Schweizer Rechts nicht entgegen. Dabei kann dahinstehen, ob diese Rechtswahlklausel überhaupt wirksam ist, denn die Anwendbarkeit des deutschen Rechts auf sämtliche im vorliegenden Fall maßgeblichen rechtlichen Fragestellungen ergibt sich unter den hier gegebenen Umständen bereits aus dem in Art. 6 Abs. 2 Satz 2 Rom I-VO verankerten Günstigkeitsprinzip.
Dem Kläger stand nach § 312b Abs. 1 Satz 1, § 312d Abs. 1 Satz 1, § 355 Abs. 1 BGB aF ein Widerrufsrecht zu, das nicht gemäß § 312d Abs. 4 Nr. 6 BGB aF ausgeschlossen ist. Für die Anwendung dieser Ausnahmevorschrift ist maßgeblich, dass der spekulative Charakter den Kern des Geschäfts ausmacht. Vorliegend geht es jedoch um eine langfristige Investition, der nur mittelbar spekulativer Charakter zukommt. Soweit § 312d Abs. 4 Nr. 6 BGB aF auf Preisschwankungen innerhalb der Widerrufsfrist abstellt, richtet sich deren Länge insoweit nach der vom Gesetz für den Regelfall der ordnungsgemäßen Widerrufsbelehrung vorgesehenen Widerrufsfrist von 14 Tagen.
Der Kläger hat das Widerrufsrecht auch wirksam ausgeübt; insbesondere war mangels ordnungsgemäßer Belehrung des Klägers über sein Widerrufsrecht die Widerrufsfrist im Zeitpunkt des Widerrufs noch nicht abgelaufen.
Bei den vorliegenden Verträgen handelt es sich um Finanzdienstleistungsverträge im Sinne des § 312b Abs. 1 Satz 2 BGB aF. Das Widerrufsrecht des Klägers ist deshalb nicht nach Art. 229 § 32 Abs. 2 (in Verbindung mit Abs. 4) EGBGB zu dem dort genannten Zeitpunkt erloschen. Der Begriff der Finanzdienstleistung ist nicht einschränkend dahingehend auszulegen, dass eine Geldanlage nur vorliegt, wenn Anlageobjekt ausschließlich Finanzinstrumente sind. Der deutsche Gesetzgeber hat die Definition der Finanzdienstleistung aus Art. 2 Buchst. b RL 2002/65/EG (Finanzdienstleistungsfernabsatzrichtlinie) übernommen, so dass für die Ausfüllung des Begriffs auf das unionsrechtliche Verständnis zurückzugreifen ist. Zwar stellten nach dem ursprünglichen Richtlinienvorschlag der Europäischen Kommission Direktinvestitionen in Sachgüter keine Finanzdienstleistung dar. Im weiteren europäischen Gesetzgebungsverfahren wurde der Begriff der Finanzdienstleistung jedoch bewusst weit gefasst und erstreckt sich nunmehr auch auf Dienstleistungen im Zusammenhang mit einer Geldanlage.
Ob dabei bereits der reine Verkauf von Sachgütern zum Zweck der Geldanlage als Finanzdienstleistung angesehen werden kann, bedarf vorliegend keiner Entscheidung, denn die hier durch die "Kauf- und Dienstleistungsverträge" begründeten Pflichten der Beklagten sowie die zu Grunde liegende Interessenlage der Parteien unterscheiden sich wesentlich von denjenigen eines reinen Verkaufs von Sachgütern und rechtfertigen die Qualifikation des Gesamtvertrags als Finanzdienstleistung.
Zum einen besteht nach der Gesamtkonzeption des von der Beklagten einheitlich angebotenen "Teakinvestments" die aus der Sicht des Verbrauchers wesentliche Leistung der Beklagten ersichtlich nicht in der für einen reinen Erwerb von Sachgütern charakteristischen Verschaffung des Eigentums an den Bäumen, sondern in den zur Realisierung einer Rendite aus dem Investment bei lebensnaher Betrachtung erforderlichen Dienstleistungen der Beklagten, insbesondere der Verwertung der Bäume am Ende der Vertragslaufzeit.
Zum anderen verfolgt die Beklagte als Anbieterin des "Teakinvestments" mit der von ihr angestrebten Bündelung von Anlegerkapital und der jahrelangen Vertragslaufzeit ein Konzept, das über den reinen - auch institutionalisierten - Verkauf von Sachgütern hinaus Parallelen beispielsweise zu einem Sachwertefonds aufweist.
(Quelle: Pressemitteilung des BGH)
Der Bundesgerichtshof hat am 21.11.2023 eine Klausel in den Riester-Altersvorsorgeverträgen mit der Bezeichnung "S VorsorgePlus Altersvorsorgevertrag nach dem Altersvermögensgesetz (Sparkonto mit Zinsansammlung)" unwirksam ist (BGH XI ZR 290/22). Diese Klausel lautete
Die beklagte Sparkasse Günzburg-Krumbach verwendet in ihren Sonderbedingungen folgende Klausel: "Im Falle der Vereinbarung einer Leibrente werden dem Sparer ggfs. Abschluss- und/oder Vermittlungskosten belastet." Diese hält der BGH für unklar und unverständlich.
Betroffen sind zahlreiche Riester-Verträge von Sparkassen aus dem ganzen Bundesgebiet. Vom BGH noch nicht entschieden wurde, ob auch Riester-Verträge der VR-Banken (die Verträge heißen meistens VR-RentePlus) unwirksam sind.
Zur Begründung hat der Bundesgerichtshof im Wesentlichen ausgeführt:
Die Klausel stellt eine Allgemeine Geschäftsbedingung im Sinne von § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB dar und nicht lediglich einen unverbindlichen Hinweis. Denn der durchschnittliche Sparer versteht die Klausel dahin, dass sie der Beklagten das Recht einräumen soll, von ihm im Fall der Vereinbarung einer Leibrente Abschluss- und/oder Vermittlungskosten zu verlangen. Die fehlende Benennung von Voraussetzungen, von denen die Erhebung von Abschluss- und/oder Vermittlungskosten durch die Beklagte abhängen soll, sowie die fehlende Bestimmung der Höhe der Kosten stellen den Regelungsgehalt der Klausel nicht in Frage. Die Bezeichnung des Klauselwerks, in dem die Klausel enthalten ist, als Sonderbedingungen spricht ebenfalls dafür, dass die Klausel den Vertragsinhalt regelt.
Die Klausel ist nicht klar und verständlich im Sinne des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB und benachteiligt dadurch die Vertragspartner der Beklagten unangemessen. Diese können die mit der Klausel für sie verbundenen wirtschaftlichen Folgen nicht absehen. Die Klausel lässt nicht erkennen, ob die Beklagte im Fall der Vereinbarung einer Leibrente tatsächlich Abschluss- und/oder Vermittlungskosten vom Verbraucher beansprucht. Voraussetzungen, die maßgebend dafür sein sollen, dass Abschluss- und/oder Vermittlungskosten dem Grunde nach anfallen, werden dem Verbraucher weder in der Klausel noch an anderer Stelle mitgeteilt. Außerdem erfährt der Verbraucher nicht, in welcher Höhe er gegebenenfalls mit Abschluss- und/oder Vermittlungskosten belastet wird. Die Klausel benennt für die Abschluss- und Vermittlungskosten weder einen absoluten Betrag noch einen Prozentsatz, der sich auf ein bestimmtes Kapital bezieht. Sie lässt den Verbraucher auch im Unklaren darüber, ob die Kosten einmalig, monatlich oder jährlich anfallen sollen. Danach kann der Verbraucher die Größenordnung der Abschluss- und Vermittlungskosten nicht absehen, mit denen er bei Vereinbarung einer Leibrente von der Beklagten belastet werden soll. Der Beklagten wäre die gebotene Eingrenzung der Kosten der Höhe nach möglich gewesen.
Der BGH bestätigte damit die Urteile des Landgericht München I vom 15. März 2021 (Aktenzeichen: 27 O 230/20) und des Oberlandesgerichts München vom 20. Oktober 2022 (Aktenzeichen: 29 U 2022/21).
Die Kanzlei Stenz & Rogoz empfiehlt Sparkassen-Kunden, ihre Verträge bereits vor Beginn der Rente zu überprüfen. Kreditinstitute dürfen bei Riester-Verträgen nur Kosten verlangen, auf die sie im ursprünglichen Sparvertrag konkret hingewiesen haben. Senden Sie der Sparkasse am besten folgendes Schreiben - dies ist auch per E-Mail möglich:
"Sehr geehrte Damen und Herren,
In meinem Altersvorsorgevertrag Nr. XXX ist folgende Klausel enthalten:
„Im Falle der Vereinbarung einer Leibrente werden dem Sparer ggfs. Abschluss- und/oder Vermittlungskosten belastet.“
Der BGH hat - wie Ihnen bekannt sein dürfte - diese Klausel mit Urteil vom 21.11.2023, Az. XI ZR 290/22) als unwirksam angesehen.
Ich fordere Sie daher auf, die dem Altersvorsorgevertrag aus der Klausel belasteten Kosten dem zu verrentenden Guthaben wieder zuzuführen mit der Folge, meine Rente entsprechend rückwirkend zu erhöhen.
Ich fordere Sie ferner auf, mir bis XX.XX.2023 (2 Wochen-Frist) ein neues Angebot zur Gestaltung der Auszahlungsphase vorzulegen. Ich weise Sie darauf hin, dass vorvertraglich in meinem ursprünglich mit Ihnen abgeschlossenen Altersvorsorgevertrag nicht offengelegte Kosten gemäß AltZertG von mir nicht geschuldet sind."
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Die Allianz muss einen sog. Rürup-Vertrag (Allianz BasisRente IndexSelect) wegen Widerrufs rückabwickeln. Der Bundesgerichtshof hat mit nunmehr veröffentlichtem Urteil vom 11.10.2023 (Aktenzeichen: IV ZR 41/22)
eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 20.01.2022 (Aktenzeichen: 7 U 46/21) bestätigt. Die Allianz, so der BGH, habe ihren Kunden nicht ordnungsgemäß über einen möglichen Nutzungsherausgabeanspruch belehrt. Der Kunde konnte damit Jahre nach Vertragsschluss die Rückabwicklung des Vertrages verlangen. Eine Kündigung eines Rürup-Vertrages ist hingegen nicht möglich.
Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde:
1
Die Parteien streiten um die Rückabwicklung eines Rentenversicherungsvertrages.
2
Unter dem 2. Dezember 2009 beantragte der Kläger bei der Beklagten den Abschluss eines indexbasierten Rentenversicherungsvertrages. Im Antrag war als Versicherungsbeginn der 1. Dezember 2009 angegeben.
Auf Seite 13 des Antragsformulars hieß es im Abschnitt „Erklärungen und Hinweise zum Antrag vom 02.12.2009 […]“:
„A. Erklärungen
A.1. Hiermit beantrage ich den Abschluss der erfassten Versicherung(en). Die für den Abschluss des / der Vertrages / Verträge erforderlichen Angaben habe ich gegenüber dem Vermittler gemacht. Der Versicherungsschutz beginnt zu dem vereinbarten Zeitpunkt nach Maßgabe der Versicherungsbedingungen. Mit diesem Beginn des Versicherungsschutzes bin ich einverstanden, auch wenn er vor Ablauf der Widerrufsfrist liegt.
…“
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Die Beklagte nahm den Antrag an und übersandte dem Kläger den Versicherungsschein vom 14. Dezember 2009. Auf der zweiten Seite des Policenbegleitschreibens hieß es:
„Sie können Ihre Vertragserklärung innerhalb von 30 Tagen ohne Angabe von Gründen in Textform (z.B. Brief, Fax, E-Mail) widerrufen. Die Frist beginnt am Tag, nach welchem Ihnen – der Versicherungsschein einschließlich der Belehrung über das Widerrufsrecht und die Rechtsfolgen des Widerrufs, – die Vertragsbestimmungen einschließlich unserer Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) und - die nach der VVG-Informationspflichtenverordnung (VVGInfoV) vorgeschriebenen Informationen, die Sie in diesen 'Versicherungsinformationen', den Vertragsbestimmungen sowie bei Verbrauchern im Produktinformationsblatt finden, zugegangen sind. Zur Wahrung der Widerrufsfrist genügt die rechtzeitige Absendung des Widerrufs. Der Widerruf ist zu richten an […].
Im Falle eines wirksamen Widerrufs erstatten wir Ihnen den Teil Ihres Beitrags, der auf die Zeit nach Zugang des Widerrufs entfällt.
Den Teil Ihres Beitrags, der auf die Zeit bis zum Zugang des Widerrufs entfällt, behalten wir ein, wenn Sie zugestimmt haben, dass der Versicherungsschutz vor Ablauf der Widerrufsfrist beginnt. Wir erstatten Ihnen aber einen ggf. vorhandenen Rückkaufswert einschließlich der Überschussanteile nach § 169 VVG.
Haben Sie die Zustimmung nicht erteilt oder beginnt der Versicherungsschutz erst nach Ablauf der Widerrufsfrist, sind die beiderseits empfangenen Leistungen zurückzugewähren.
Unsere Erstattungspflicht erfüllen wir unverzüglich, spätestens 30 Tage nach Zugang des Widerrufs.“
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2019 wurde der Vertrag auf Wunsch des Klägers beitragsfrei gestellt. Mit Schreiben vom 9. März 2020 widerrief der Kläger seine auf den Vertragsschluss gerichtete Willenserklärung und forderte die Beklagte zur Erstattung der geleisteten Prämienzahlungen zuzüglich der gezogenen Nutzungen bis zum 24. März 2020 auf. Die Beklagte wies den Widerruf mit Schreiben vom 26. März 2020 zurück. Der Kläger machte seine Ansprüche mit Anwaltsschreiben vom 27. März 2020 geltend; die Beklagte lehnte eine Zahlung unter dem 20. April 2020 ab.
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Soweit für die Revision noch von Interesse, hat der Kläger im Wege der Stufenklage von der Beklagten Auskunft – bezogen auf den Zeitpunkt des Vertragsbeginns am 1. Dezember 2009 bis zum Zugang des Widerrufs bei der Beklagten am 9. März 2020 – über die in Abzug gebrachten Abschluss- und Vertriebskosten, Verwaltungskosten und Risikokosten, die tatsächlich investierten Beiträge (Sparanteile) sowie das zum 9. März 2020 vorhandene Deckungskapital und den zu diesem Datum vorhandenen Rückkaufswert, jeweils einschließlich Überschussanteilen, verlangt. Des Weiteren hat er die Feststellung begehrt, dass sich der Versicherungsvertrag infolge des Widerrufs in ein Rückabwicklungsschuldverhältnis umgewandelt hat, hilfsweise dass die Beklagte verpflichtet ist, den am 9. März 2020 vorhandenen ungezillmerten Rückkaufswert einschließlich Überschussanteilen nebst Zinsen seit dem 25. März 2020 an den Kläger auszuzahlen. Außerdem hat er die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung eines nach erfolgter Auskunft zu beziffernden Betrages nebst Zinsen verlangt. Schließlich hat er die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen beantragt.
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Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. In der Berufungsinstanz hat der Kläger hilfsweise für den Fall der Unzulässigkeit oder Unbegründetheit der Auskunfts- und Feststellungsanträge die Zahlung von 81.152,09 € nebst Zinsen seit dem 25. März 2020 verlangt. Das Oberlandesgericht hat die Beklagte unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung verurteilt, an den Kläger 81.152,09 € nebst Zinsen seit dem 14. Mai 2020 zu zahlen.
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Die Beklagte erstrebt mit der Revision die Abweisung der Klage. Mit der Anschlussrevision verfolgt der Kläger seine zweitinstanzlichen Anträge weiter, soweit ihnen das Berufungsgericht nicht stattgegeben hat.
Ein Darlehensvertrag mit einem Nominalzinssatz von 15,20 % und einem Effektivzinssatz von 18,40 % ist nach Ansicht des Landgerichts Erfurt (Urteil vom 15.05.2023, Aktenzeichen: 9 O 101/23) wegen Wucher sittenwidrig und nichtig, wenn es einem Darlehensnehmer ausbezahlt wird, der nur 2.000,00 € pro Monat verdient. Das Landgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung insbesondere einen Vergleich zwischen dem Zins und der EWU-Zinsstatistik für Konsumentenkredite mit einer Laufzeit von bis zu 5 Jahren (SUD 114) zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses herangezogen. Weicht dieser um 100 % ab, ist von Sittenwidrigkeit auszugehen.
Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zugrunde:
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Die Klägerin macht gegenüber dem Beklagten eine abgetretene Forderung aus einem Verbraucherkredit geltend.
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Am 05.11.2017 schloss die C… GmbH mit dem Beklagten einen Darlehensvertrag über einen Kredit von netto 10.548,35 EUR mit einem Nominalzinssatz von 15,20 % p.a. (Anlage K1). Der effektive Jahreszins betrug 18,40 %. Einschließlich Zinsen und Kosten belief sich der Gesamtkredit auf 19.339,80 EUR und war mit 60 Monatsraten von je 322,33 EUR zurückzuzahlen. Die Beantragung des Kredits erfolgte durch den Beklagten online über den Marktplatz von „D…“.
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Im Rahmen der Beantragung eines Kredites auf dem Marktplatz von „D…“ gab der Beklagte seine persönlichen Daten beim Marktplatz von „D…“ in die hierfür vorgesehene Antragsmaske ein. Laut der eingegebenen Daten ist der Beklagte ledig, bezieht als Arbeiter einen Nettolohn von monatlich 2.000,00 EUR und zahlt eine monatliche Miete von 700,00 EUR. Den eigentlichen Vertrag unterzeichnete der Beklagte mittels qualifizierter elektronischer Signatur. Dabei übermittelte der Beklagte sein Ausweisdokument via Internet im Rahmen eines sog. Video-Ident-Verfahrens, einem VideoChat in Echtzeit. Im Anschluss an die Identifizierung wurde dem Beklagten ein Ident-Code an dessen Mobilfunknummer gesandt. Dieser Code wurde vom Beklagten zum Abschluss in die Antragsmaske eingegeben. Die Klägerin nahm den Darlehensantrag an und zahlte das Darlehen wie vereinbart an den Beklagten aus.
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Der Beklagte hielt die Zahlungsvereinbarung nicht ein. Nachdem er mit zwei aufeinanderfolgenden Monatsraten und 5 % des Nennbetrages des Kredits in Verzug geraten war, teilte die Bank dem Beklagten den Rückstand mit und mahnte ihn zur Zahlung binnen zwei Wochen auf. Gleichzeitig kündigte die Bank für den Fall der Nichtzahlung die Fälligstellung der gesamten Restschuld an. Nachdem der Beklagte den Rückstand nicht bezahlte, wurde der Darlehensvertrag nach Fristablauf mit Schreiben vom 18.09.2018 (Anlage K2) gekündigt und der offene Saldo zur sofortigen Zahlung fällig gestellt, wobei die Bank die nicht verbrauchten Kreditzinsen und laufzeitabhängigen Kosten errechnete und gutschrieb. Gleichzeitig wurde der Beklagte zur Zahlung der noch offenen Kreditforderung in Höhe von 11.548,47 EUR aufgefordert.
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Nachdem der Beklagte daraufhin keine weiteren Zahlungen leistete, hat die Klägerin die E… GmbH mit der Einziehung der Forderung beauftragt. Für die … tätigkeit wurde eine Vergütung in Höhe von 805,20 EUR berechnet.
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Die Klägerin ist der Meinung, dass der Darlehensvertrag wirksam und insbesondere nicht wegen einer sittenwidriger Überhöhung der vereinbarten Verzinsung nichtig sei.
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Eine Gesamtwürdigung aller Umstände führe vorliegend nicht dazu, dass ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung bestehe. Die streitgegenständliche Finanzierung weise die Besonderheit auf, dass Kreditsuchende auf dem Marktplatz von „D…“ Kreditgesuche einstellen könnten, dabei die konkreten Konditionen aus unterbreiteten Vorschlägen selbst aussuchten und damit diese selbst zum Gegenstand seines Kreditgesuchs machten.
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Das Landgericht München I (Urteil vom 07.11.2019 – 27 O 10720/19, Anlage K3) habe in einem ähnlich gelagerten Fall entschieden, dass sich die der Statistik der Deutschen Bundesbank zu entnehmenden Zinssätze auf Darlehen für Schuldner bezögen, die von den Banken als kreditwürdig eingeschätzt worden seien. Übernehme eine Bank hingegen ein Kreditrisiko, welches andere Banken mangels Kreditwürdigkeit des Kunden überhaupt nicht mehr übernehmen wollten, so sei dieses besondere Rückzahlungsrisiko bei der Feststellung eines auffälligen Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung zu berücksichtigen. Bei Finanzierungen der vorliegenden Art sei der Zinssatz für geduldete Überziehungen des Dispositionskredits als Vergleichszinssatz heranzuziehen, der sich üblicherweise im Bereich von 15 % bis 16 % bewege.
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Die Klägerin beantragt:
Der Beklagte wird aus Verbraucherkreditvertrag verurteilt, an die Klägerin 11.548,47 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins seit dem 19.10.2019 sowie vorgerichtliche Kosten in Höhe von 805,20 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
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Die Klage wurde dem Beklagten am 09.03.2023 zugestellt. Eine Klageerwiderung erfolgte nicht.
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Mit gerichtlicher Verfügung vom 31.03.2023 hat das Landgericht Erfurt der Klägerin den Hinweis erteilt, dass nach Auffassung der Kammer der Darlehensvertrag wegen sittenwidriger Überhöhung des vereinbarten Zinses nichtig sei, weil der vereinbarte effektive Jahreszins (18,40 %) in einem auffälligen Missverhältnis zu dem Marktzins stehe, der nach der EWU-Zinsstatistik für Konsumentenkredite mit einer Laufzeit von bis zu 5 Jahren (SUD 114) zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses (November 2017) nur 4,31 % betragen habe.
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Die Klägerin hat auf den Hinweis des Landgerichts Erfurt reagiert und mitgeteilt, dass sie an der Rechtsauffassung festhalte, wonach der Vertrag nicht sittenwidrig sei.
Das Oberlandesgericht Saarbrücken hat mit Urteil vom 26.01.2023 (Aktenzeichen: 4 U 134/21) eine Vorfälligkeitsentschädigung der Sparda-Bank Südwest eG gekippt. Ihre Kunden können nun einen Betrag von 13.768,05 € zurückverlangen.
Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Der Kläger verlangt die Rückzahlung eines im Zuge einer vorzeitigen Darlehensablösung geleisteten Betrags von 13.768,05 €.
Die Parteien schlossen am 16.02.2017 einen Immobiliardarlehensvertrag über eine Nettodarlehenssumme von 136.000,- € mit einem bis zum Ende der Vertragslaufzeit gebundenen Sollzinssatz von 1,64%. Das Ende der Vertragslaufzeit ist in Ziffer 4 des Vertrages mit dem 28.02.2030 angegeben.
Der Vertrag enthält unter anderem folgende weitere Regelungen:
„7. Vorzeitige Rückzahlung
Der Darlehensnehmer kann seine Verbindlichkeiten im Zeitraum der Sollzinsbindung nur ganz oder teilweise vorzeitig zurückführen, wenn ein berechtigtes Interesse des Darlehensnehmers besteht. Im Fall der vorzeitigen Rückzahlung fällt eine Vorfälligkeitsentschädigung nach Ziffer 8 an.
8. Angabe zur Berechnungsmethode des Anspruchs auf Vorfälligkeitsentschädigung (Ablöseentschädigung)
Im Fall der vorzeitigen Rückzahlung (vergleiche Ziffer 7 dieses Vertrages) oder im Fall der außerordentlichen Kündigung auf der Grundlage eines berechtigten Interesses (vergleiche Ziffer 8 Satz 2 der Allgemeinen Bedingungen für Kredite und Darlehen) hat der Darlehensnehmer der Bank denjenigen Schaden zu ersetzen, der dieser aus der vorzeitigen Rückzahlung entsteht. Der Berechnung dieses Schadens wird der Darlehensgeber die vom Bundesgerichtshof für zulässig befundene Aktiv-Passiv-Methode zugrunde legen, welche davon ausgeht, dass die durch die Rückzahlung frei gewordenen Mittel laufzeitkongruent in Kapitalmarkttiteln angelegt werden. Danach wird berücksichtigt
- Der Zinsverschlechterungsschaden als der finanzielle Nachteil aus der vorzeitigen Darlehensablösung, das heißt, die Differenz zwischen dem Vertragszins und der Rendite von Kapitalmarkttiteln öffentlicher Schuldner mit einer Laufzeit, die der Restlaufzeit des abzulösenden Darlehens entspricht. Die Differenz zwischen dem Vertragszins des abzulösenden Darlehens und der Kapitalmarktrendite ist um angemessene Beträge sowohl für ersparte Verwaltungsaufwendungen als auch für das entfallende Risiko des abzulösenden Darlehens zu kürzen. Die auf der Grundlage der so ermittelten Nettozinsverschlechterungsrate für die Restlaufzeit des abzulösenden Darlehens sich ergebenden Zinseinbußen werden dann auf den Zeitpunkt der Zahlung der Vorfälligkeitsentschädigung abgezinst. Dabei wird auch hier der aktuelle Wiederanlagezins, das heißt, die Renditelaufzeit kongruenter Kapitalmarkttitel öffentlicher Schuldner zugrunde gelegt.
- Daneben wird der Darlehensgeber ein angemessenes Entgelt für den mit der vorzeitigen Ablösung des Darlehens verbundenen Verwaltungsaufwand verlangen.
Ein Anspruch auf Vorfälligkeitsentschädigung ist ausgeschlossen, wenn die Rückzahlung aus den Mitteln einer Versicherung bewirkt wird, die aufgrund einer entsprechenden Verpflichtung im Darlehensvertrag abgeschlossen wurde, um die Rückzahlung zu sichern oder im Vertrag die Angaben über die Laufzeit des Vertrags, das Kündigungsrecht des Darlehensnehmers oder die Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung unzureichend sind.
9. Mitteilungspflichten des Darlehensgebers bei beabsichtigter vorzeitiger Rückzahlung (§ 493 Abs. 5 BGB)
Wenn der Darlehensnehmer dem Darlehensgeber mitteilt, dass er eine vorzeitige Rückzahlung des Darlehens beabsichtigt, wird ihm der Darlehensgeber unverzüglich auf einem dauerhaften Datenträger Auskunft über die Zulässigkeit der vorzeitigen Rückzahlung, im Fall der Zulässigkeit die Höhe des zurückzuzahlenden Betrages und gegebenenfalls die Höhe der Vorfälligkeitsentschädigung mitteilen. Soweit sich diese Informationen auf Annahmen stützen, müssen diese nachvollziehbar und sachlich gerechtfertigt sei und als solche dem Darlehensnehmer gegenüber offengelegt werden.“
Mit Schreiben vom 10.02.2020 (Bl. 53 GA) trat der Kläger an die Beklagte mit der Bitte heran, ihm eine detaillierte Abrechnung für das Darlehen zuzusenden. Mit Schreiben vom 09.03.2020 (Bl. 94 GA) teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass eine vorzeitige Ablösung, ausgenommen bei Verkauf des Beleihungsobjekts, nicht möglich sei.
Mit Schreiben seiner Prozessbevollmächtigten vom 12.06.2020 (Bl. 57 ff. GA) zeigte der Kläger gegenüber der Beklagten an, dass eine Veräußerung der finanzierten Immobilie erfolgen solle. Die Prozessbevollmächtigten des Klägers führten aus, die von der Beklagten zwischenzeitlich mitgeteilte Vorfälligkeitsentschädigung in Höhe von 15.218,48 € sei nicht geschuldet und eine etwaig zwischenzeitlich erfolgte Zahlung stehe unter dem Vorbehalt der Rückforderung. Ferner forderten sie die Beklagte unter Fristsetzung auf den 26.06.2020 zu der Erklärung auf, dass keine Vorfälligkeitsentschädigung verlangt werde und die Beklagte den Kläger von den Kosten ihrer Inanspruchnahme freistelle. Eine Kündigung des Darlehens durch den Kläger erfolgte nicht.
Mit Schreiben vom 18.08.2020 (Bl. 95 GA) zeigte das Notariat, … gegenüber der Beklagten die Veräußerung der finanzierten Immobilie an und bat um Übersendung der Löschungsbewilligung betreffend die zugunsten der Beklagten eingetragene Grundschuld sowie um Mitteilung etwaiger Forderungen, von denen die Übersendung der Löschungsunterlagen abhängig gemacht werde. Die Beklagte übersandte mit Schreiben vom 10.09.2020 (Bl. 96 f. GA) die Löschungsunterlagen und wies darauf hin, dass über diese nur verfügt werden dürfe gegen Zahlung eines Gesamtbetrags von 193.428,23 € zur Ablösung des streitgegenständlichen und eines weiteren Darlehens. Bei dem mitgeteilten Betrag war eine Vorfälligkeitsentschädigung für das streitgegenständliche Darlehen von 13.768,05 € berücksichtigt (vgl. Bl. 98 GA). In der Folge wurde der Kaufpreis in Höhe der von der Beklagten mitgeteilten Forderung an diese entrichtet.
Der Kläger hat behauptet, ausgehend von einer aktiven Ausreichung des Kapitals an andere Kunden belaufe sich die Vorfälligkeitsentschädigung auf lediglich 6.318,62 € bzw. ohne Berücksichtigung der Zinsmargenposition auf 4.832,61 €.
Er hat geltend gemacht, die Beklagte könne keine Vorfälligkeitsentschädigung verlangen, da die Angaben zur Berechnung unzureichend seien. Unterstellt, die Berechnung könne nach der „Aktiv-Passiv-Methode“ erfolgen, werde der falsche Eindruck erweckt, dass die Vorfälligkeitsentschädigung grundsätzlich bis zum Ende der Laufzeit des Darlehens berechnet werde, obschon die allein maßgebliche berechtigte Zinserwartung zu einem früher liegenden Zeitpunkt ende. Ferner hat der Kläger gerügt, es werde nicht darüber informiert, dass – unstreitig eingeräumte – Sondertilgungs- bzw. Tilgungsanpassungsrechte die berechtigte Zinserwartung beeinflussten. Zudem stelle die Beklagte hinsichtlich der Wiederanlagerendite wiederholt auf „Kapitalmarkttitel öffentlicher Schuldner“ ab, obschon richtigerweise die Rendite aus Hypothekenpfandbriefen zugrunde zu legen sei.
Dessen ungeachtet erscheine die Heranziehung der „Aktiv-Passiv-Methode“ heute nicht mehr gerechtfertigt und stehe zudem nicht in Einklang mit den Vorgaben der Wohnimmobilienkreditrichtlinie (2014/17/EU), die eine rein abstrakte Berechnung verbiete. Der Kläger hat insoweit eine Vorlage an den EuGH angeregt (Bl. 43 GA).
Den von der Beklagten behaupteten Aufhebungsvertrag hat der Kläger vorsorglich angefochten (Bl. 105 GA).
Der Kläger hat beantragt (Bl. 3, 164 GA),
1.
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 13.768,05 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 7.10.2020, hilfsweise seit Rechtshängigkeit, zu zahlen;
2.
die Beklagte zu verurteilen, an die … R.-Versicherungs AG,, weitere 513,30 € als Nebenforderung zu zahlen, zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit.
Die Beklagte hat beantragt (Bl. 83, 163 GA),
die Klage abzuweisen.
Nach ihrer Ansicht war das notarielle Schreiben vom 18.08.2020 (Bl. 95 GA) als namens und in Vollmacht des Klägers unterbreitetes und von ihr angenommenes Angebot zur vorzeitigen Aufhebung des Darlehensverhältnisses unter Zahlung eines Vorfälligkeitsentgelts zu verstehen gewesen. Demgemäß stehe hier keine Vorfälligkeitsentschädigung, sondern ein (vertraglich vereinbartes) Vorfälligkeitsentgelt in Rede.
Ferner hat die Beklagte den Einwand der Verwirkung sowie der unzulässigen Rechtsausübung erhoben und geltend gemacht, der Kläger habe die Zahlung in Höhe von 13.768,05 € in Kenntnis der Nichtschuld geleistet.
Mit dem am 24.09.2021 verkündeten Urteil (Bl. 179 ff. GA) hat das Landgericht die Beklagte unter Abweisung der Klage im Übrigen zur Zahlung von 13.768,05 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 17.01.2021 verurteilt. Zur Begründung hat es – soweit in der Berufung von Interesse – ausgeführt, bei dem gezahlten Betrag handele es sich entgegen der Annahme der Beklagten nicht um ein Vorfälligkeitsentgelt, sondern um eine Vorfälligkeitsentschädigung. Ein Anspruch der Beklagten auf die Vorfälligkeitsentschädigung sei indes gemäß § 500 Abs. 2 Nr. 2 BGB ausgeschlossen. Die Angaben zur Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung seien fehlerhaft, da die Beklagte für die Wiederanlagerendite auf Kapitalmarkttitel öffentlicher Schuldner abhebe, wohingegen ihr nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes eine Wiederanlage in Hypothekenpfandbriefen zumutbar sei. Dahinstehen könne damit, ob ein weiterer Fehler daraus folge, dass die von der Beklagten angegebene Restlaufzeit des abzulösenden Darlehens nicht dem Zeitraum der rechtlich geschützten Zinserwartung entspreche. Die Beklagte könne dem Anspruch weder § 814 BGB noch den Einwand der Verwirkung oder der unzulässigen Rechtsausübung entgegenhalten. Der Senat nimmt gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen des Urteils Bezug.
Die Beklagte hat gegen das Urteil Berufung eingelegt.
Primär bleibt sie bei ihrer Einschätzung, der Kläger habe den nunmehr zurückverlangten Betrag als zwischen den Parteien vereinbartes Vorfälligkeitsentgelt gezahlt.
Hilfsweise beruft sie sich darauf, dass die vertraglichen Angaben zur Berechnung einer Vorfälligkeitsentschädigung ausreichend gewesen seien. Sie macht geltend, es gebe keine verbindliche Vorgabe des Bundesgerichtshofs, welche Art von Wiederanlagetitel als Berechnungsgrundlage anzunehmen sei, verlangt werde lediglich eine „sichere Anlage“. Die von ihr angegebene Berechnungsmethode sei nicht falsch, da es sich auch bei Hypothekenpfandbriefen jedenfalls um „Kapitalmarkttitel“ handele und sich Pfandbriefe zudem auch auf öffentliche Schuldner beziehen könnten. Die Auffassung des Landgerichts zugrunde gelegt, müsste sie konsequenterweise die Rechtsprechung jeweils auf etwaige Änderungen der Vorgaben zur Berechnungsmethode im Blick haben, was ihr nicht zuzumuten sei. Die Vertragsangaben zur Laufzeit des Darlehens erachtet die Beklagte als zutreffend.
Die Beklagte hält den Einwand der Verwirkung und der unzulässigen Rechtsausübung aufrecht.
Die Beklagte beantragt (Bl. 239, 335 GA), unter Aufhebung des Urteils des Landgerichts Saarbrücken vom 24.09.2021, 1 O 363/20, die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt (Bl. 264, 335 GA),
die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger verteidigt die angefochtene Entscheidung.
Hinsichtlich der Einzelheiten des Sachverhalts und des Parteivortrags wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, die Sitzungsniederschrift des Landgerichts vom 20.08.2021 (Bl. 163 ff. GA) sowie auf das Urteil des Landgerichts vom 24.09.2021 (Bl. 179 ff. GA) und die Sitzungsniederschrift des Senats vom 15.12.2022 (Bl. 334 f. GA) Bezug genommen.
Mit Urteil vom 20. April 2023 (Aktenzeichen: I ZR 113/22) hat der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden, dass die in Allgemeinen Geschäftsbedingungen vereinbarte Verpflichtung eines Maklerkunden zur Zahlung einer Reservierungsgebühr unwirksam ist.
Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Die Kläger beabsichtigten den Kauf eines vom Beklagten als Immobilienmakler vermittelten Grundstücks mit Einfamilienhaus. Die Parteien schlossen einen Maklervertrag und im Nachgang dazu einen Reservierungsvertrag, mit dem sich der Makler verpflichtete, das Grundstück gegen Zahlung einer Reservierungsgebühr bis zu einem festgelegten Datum exklusiv für die Kläger vorzuhalten. Die Kläger nahmen vom Kauf Abstand und verlangen vom Makler die Rückzahlung der Reservierungsgebühr
Das Amtsgericht Dresden hat mit Urteil vom 23. April 2021 (Aktenzeichen: 113 C 4884/20) die Klage abgewiesen. Das Landgericht Dresden hat mit Urteil vom 10. Juni 2022 (Aktenzeichen: 2 S 292/21) die Berufung der Kläger zurückgewiesen. Der Reservierungsvertrag sei wirksam. Er stelle eine eigenständige Vereinbarung mit nicht nach den §§ 307 ff. BGB kontrollfähigen Hauptleistungspflichten dar.
Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs:
Der Bundesgerichtshof hat den Makler auf die Revision der Kläger zur Rückzahlung der Reservierungsgebühr verurteilt.
Der Reservierungsvertrag unterliegt der AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle, weil es sich dabei nach dem Inhalt der getroffenen Abreden nicht um eine eigenständige Vereinbarung, sondern um eine den Maklervertrag ergänzende Regelung handelt. Dass der Reservierungsvertrag in Form eines gesonderten Vertragsdokuments geschlossen wurde und später als der Maklervertrag zustande kam, steht dem nicht entgegen.
Der Reservierungsvertrag benachteiligt die Maklerkunden im Sinne von § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB unangemessen und ist daher unwirksam, weil die Rückzahlung der Reservierungsgebühr ausnahmslos ausgeschlossen ist und sich aus dem Reservierungsvertrag weder für die Kunden nennenswerte Vorteile ergeben noch seitens des Immobilienmaklers eine geldwerte Gegenleistung zu erbringen ist. Außerdem kommt der Reservierungsvertrag der Vereinbarung einer erfolgsunabhängigen Provision zugunsten des Maklers gleich. Das widerspricht dem Leitbild der gesetzlichen Regelung des Maklervertrags, wonach eine Provision nur geschuldet ist, wenn die Maklertätigkeit zum Erfolg geführt hat.
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Mit nunmehr veröffentlichtem Urteil vom 04.11.2022 – 12 O 198/21 hat das Landgericht Kiel die Sparkasse verpflichtet, an ihren Kunden die vereinnahmte Vorfälligkeitsentschädigung in Höhe von über 14.000,00 € zurückzuzahlen! Ein Anspruch auf Vorfälligkeitsentschädigung nach § 502 BGB ist nach Ansicht des Gerichts ausgeschlossen, wenn im Vertrag die Angaben über die Laufzeit des Vertrags, das Kündigungsrecht des Darlehensnehmers oder die Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung unzureichend sind. Unzureichend sind nicht nur solche Informationen, die für den Verbraucher nicht nachvollziehbar sind, sondern auch unrichtige Angaben.
Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Die Beklagte gewährte dem Kläger mit Vertrag vom 14.12.2016 ein Immobiliar-Verbraucherdarlehen über 114.000,00 € zur Finanzierung einer Immobilie. Der vereinbarte Sollzinssatz war bis zum 30.12.2031 gebunden.
Nr. 10.2 des Vertrages enthielt zur Vorfälligkeitsentschädigung folgende Klausel:
„Die Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung (Ablösungsentschädigung) durch die Sparkasse erfolgt nach den gesetzlichen Vorgaben und der höchstrichterlichen Rechtsprechung. Dies ist derzeit die sog. „Aktiv/Passiv-Methode“. Durch diese Berechnungsmethode wird die Sparkasse so gestellt, als ob der Kredit bis zum Ablauf der Zinsbindung planmäßig fortgeführt worden wäre.
Für die Ermittlung der Vorfälligkeitsentschädigung wird von einer Anlage der vorzeitig zurückgeführten Darlehensmittel in sichere kapitalmarkttitel (Pfandbriefrenditen der Deutschen Bundesbank) ausgegangen. Zunächst wird der Betrag ermittelt, der zum Ablösestichtag erforderliche ist, um sämtliche ursprüngliche vereinbarten Zahlungen aus dem Kreditvertrag (Zinsen, Tilgung) sowie das rechnerische Restkapital am Ende der Zinsfestschreibung zu erzielen. Die anfallenden Zinsen sind in diese Berechnung einbezogen.
Zusätzlich wird das auf den restlichen Zinsbindungszeitraum entfallende und somit - auf Basis des effektiven Jahreszinses - zu erstattende Disagio in die Berechnung einbezogen, sofern ein Disagio vereinbart wurde.
Die Sparkasse ermittelt ferner die zukünftig entfallenden Risiko- und Verwaltungskosten und reduziert die Vorfälligkeitsentschädigung entsprechend.
Durch die vorzeitige Ablösung des Darlehens entsteht ein Institutsaufwand, der Ihnen in Rechnung gestellt wird.
Bei der Berechnung der Vorfällligkeitsentschädigung wird zusätzlich von Folgendem ausgegangen:
- Berücksichtigung der sich durch die Tilgung verringernde Darlehensschuld;
- Schadensmindernde Berücksichtigung vereinbarter Sondertilgungsrechte;
- Abzinsung der ermittelten Schadensbeträge auf den Rückzahlungszeitpunkt.
Sofern der Darlehensnehmer der Sparkasse die Absicht mitteilt, das Darlehen vorzeitig zurückzuzahlen, übermittelt die Sparkasse dem Darlehensnehmer in Textform unverzüglich Informationen zu Zulässigkeit der vorzeitigen Rückzahlung, im Fall der Zulässigkeit die Höhe des zurückzuzahlenden Betrages und gegebenenfalls die Höhe der Vorfälligkeitsentschädigung.“
Zur Sicherung wurde für die Beklagte eine Buchgrundschuld über 164.000,00 € in das Grundbuch eingetragen.
Im Oktober 2020 wandte sich der Kläger an die Beklagte, weil er beabsichtigte das finanzierte Objekt zu verkaufen. Die Beklagte erwiderte mit Schreiben vom 02.11.2020 und führte unter anderem aus:
„Sie überlegen, ob Sie von Ihrem gesetzlichen Kündigungsrecht gemäß den § 490(2) BGB Gebrauch machen und Ihre o.g. Darlehen vorzeitig zurückzahlen. Nach § 490 Abs. 2 S. 3 BGB sind Sie verpflichtet, der Sparkasse denjenigen Schaden zu ersetzen, der ihr aus dieser vorzeitigen Kündigung entsteht (Vorfälligkeitsentschädigung).
Im März 2021 verkaufte der Kläger das finanzierte Objekt.
Mit Schreiben vom 11.03.2021 wandte sich der Notar …, der den Verkauf abwickelte, an die Beklagte und teilte mit, dass gemäß dem Kaufvertrag das im Grundbuch zugunsten der Beklagten eingetragene Grundpfandrecht aus dem Kaufpreis abgelöst und gelöscht werden solle. Er bat deshalb um Mitteilung des Valutastandes des eingetragenen Rechts und Übersendung der Löschungsbewilligung zu treuen Händen.
Mit Schreiben vom 18.03.2021 teilte die Beklagte dem Notar den Valutastand mit und übersandte die Löschungsbewilligung zu treuen Händen. Eine Verfügung über die Löschungsbewilligung war nach dem Schreiben erst zulässig, wenn der geforderte Betrag vorbehaltlos gezahlt wurde. In dem von der Beklagten geforderten Betrag war auch eine Vorfälligkeitsentschädigung für das Darlehen Nr. … in Höhe von 14.111,43 €, eine Bearbeitungsgebühr in Höhe von 200,00 € und eine Urkundengebühr in Höhe von 25,00 € enthalten.
Mit Schreiben vom selben Tag erklärte die Beklagte zudem gegenüber dem Kläger:
„auf Ihren Wunsch sollen die oben genannten Darlehen vorzeitig abgelöst werden.
Sie haben damit von Ihrem gesetzlichen Kündigungsrecht gemäß § 490 Abs. 2 BGB Gebrauch gemacht. Wir bestätigen Ihnen die Kündigung zum 14.04.2021.
Der Kläger zahlte den von der Beklagten geforderten Betrag. Die Beklagte gab die Grundschuld frei.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 14.336,43 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz auf diesen Betrag seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Landgericht Ravensburg in einem Verfahren VR Bank Ravensburg-Weingarten eG hat mit nunmehr veröffentlichtem Beschluss vom 8.8.2022 (Aktenzeichen: 2 O 316/21) dem Europäischen Gerichtshof wichtige Fragen im Zusammenhang mit der Berechnung der sog. Vorfälligkeitsentschädigung vorgelegt. Unter anderem fragt das Landgericht, ob der Begriff der „angemessenen und objektiven Entschädigung für die möglicherweise entstandenen, unmittelbar mit der vorzeitigen Rückzahlung des Kredits zusammenhängenden Kosten“ in Art. 25 Abs. 3 RL 2014/17/EU1 dahingehend auszulegen, dass die Entschädigung auch den entgangenen Gewinn des Kreditgebers, insbesondere die ihm infolge der vorzeitigen Rückzahlung entgehenden zukünftigen Zinszahlungen erfasst. Sodann fragt das Landgericht, ob das Unionsrecht und speziell Art. 25 Abs. 3 RL 2014/17/EU Vorgaben für die Berechnung der bei dem entgangenen Gewinn zu berücksichtigenden Einnahmen des Kreditgebers aus der Wiederanlage eines vorzeitig zurückgezahlten Immobiliar-Verbraucherkredits enthält, und gegebenenfalls welche.
Schließlich stellt es die folgenden Fragen:
a) Hat die nationale Regelung für die Berechnung daran anzuknüpfen, in welcher Art der Kreditgeber den vorzeitig zurückgezahlten Betrag tatsächlich verwendet?
b) Darf eine nationale Regelung es dem Kreditgeber gestatten, die Entschädigung für die vorzeitige Rückzahlung anhand einer fiktiven Wiederanlage in sicheren Kapitalmarkttiteln mit kongruenter Laufzeit zu berechnen (sog. Aktiv-Passiv-Methode)?
Fällt in den Anwendungsbereich des Art. 25 RL 2014/17 auch der Fall, dass der Verbraucher einen Immobiliar-Verbraucherkreditvertrag zunächst aufgrund eines vom nationalen Gesetzgeber vorgesehenen Kündigungsrechts kündigt, bevor er den Kredit vorzeitig an den Kreditgeber zurückzahlt?
Das Vorabentscheidungsersuchen des Landgerichts Ravensburg wurde am 10. August 2022 beim EuGH eingereicht und läuft dort unter dem Zeichen: "MW, CY gegen VR Bank Ravensburg-Weingarten eG" (Rechtssache C-536/22). Der Fortgang des Rechtsstreits wird auf dieser Homepage berichtet. Die Entwicklung ist auch auf der Homepage des EU-Kommission nachzulesen.
Die PSD-Bank kann von ihren Kunden, die den Widerruf eines Verbraucherdarlehensvertrages erklärt haben, keine Rechtsanwaltsgebühren verlangen, auch wenn sich der Widerruf später als unwirksam herausstellt. Die PSD-Bank hat Klage in der ersten Instanz vor dem Amtsgericht Schweinfurt verloren. In der zweiten Instanz wurde die Berufung nach Hinweis des Landgerichts Schweinfurt zurückgenommen.
Der Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz hat mit viel beachtetem Beschluss vom 22.07.2022 (Aktenzeichen: VGH B 70/21) eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Koblenz vom 9. Februar 2022 (Aktenzeichen: 10 U 246/21) für gegenstandslos erklärt. Dort war ein Widerspruch gegen einen Versicherungsvertrag (letztinstanzlich) als rechtsmissbräuchlich angesehen, ohne dass die Frage dem Europäischen Gerichtshof im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 267 Abs. 3 AEUV vorgelegt worden war. Dies sieht der Verfassungsgerichtshof als ein Verstoß gegen das Recht auf den gesetzlichen Richter. Die Entscheidung hat Potenzial, sich auf die laxe Handhabung der Verwirkungs-/Rechtsmissbrauchseinrede in Darlehenswiderrufsfällen auszuwirken, hat der Verfassungsgerichtshof doch klargestellt: "Vielmehr ist bei der Regelung der Modalitäten des Rücktrittsrechts die praktische Wirksamkeit der mit der Richtlinie verfolgten Zwecke zu wahren [...]" Dies gilt für Verbraucherdarlehensfälle im selben Umfange!
Die Entscheidung lautet im Volltext:
1. Der EuGH ist gesetzlicher Richter im Sinne des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Verf RP. Kommt ein deutsches Gericht seiner Pflicht zur Anrufung des EuGH im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 267 Abs. 3 AEUV nicht nach, kann dem Rechtsschutzsuchenden des Ausgangsrechtsstreits der gesetzliche Richter entzogen sein.
2. Nicht jede Verletzung der unionsrechtlichen Vorlagepflicht stellt zugleich einen Verstoß gegen das Recht auf den gesetzlichen Richter dar. Eine Verletzung von Verfassungsrecht liegt nur vor, wenn die Auslegung und Anwendung der Zuständigkeitsregel des Art. 267 Abs. 3 AEUV nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist.
3. Die Vorlagepflicht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV wird unter anderem dann offensichtlich unhaltbar gehandhabt, wenn das letztinstanzliche Fachgericht das Vorliegen einer von vornherein eindeutigen oder zweifelsfrei geklärten Rechtslage ohne sachliche bzw. sachlich einleuchtende Begründung annimmt. Die Pflicht der Fachgerichte zur Begründung folgt aus Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Verf RP bzw. Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. Da die unionalen Pflichten zur Vorlage bzw. Begründung der Nichtvorlage durch das Recht auf den gesetzlichen Richter verfassungsrechtlich abgesichert werden, hat das Fachgericht Gründe anzugeben, die dem Verfassungsgericht die ihm aus der Integrationsverantwortung der Landesverfassung und des Grundgesetzes obliegende Kontrolle der fachgerichtlichen Handhabung der Vorlagepflicht am Maßstab der Verfassung überhaupt erst ermöglichen. Das Fachgericht muss deshalb eine nachvollziehbare, vertretbare Begründung dafür geben, dass die maßgebliche Rechtsfrage durch den EuGH bereits entschieden oder die richtige Antwort auf diese Rechtsfrage derart offenkundig ist, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt.
Der Beschluss des Oberlandesgerichts Koblenz vom 2. November 2021 – 10 U 246/21 – verletzt den Beschwerdeführer in seinem Recht aus Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 der Verfassung für Rheinland-Pfalz. Die Entscheidung wird aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Oberlandesgericht Koblenz zurückverwiesen. Damit wird der Beschluss des Oberlandesgerichts Koblenz vom 9. Februar 2022 – 10 U 246/21 – gegenstandslos.
Das Land Rheinland-Pfalz hat dem Beschwerdeführer die im Verfassungsbeschwerdeverfahren notwendigen Auslagen zu erstatten.
Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit der Bevollmächtigten des Beschwerdeführers wird auf 17.319,51 € festgesetzt.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Verpflichtung nationaler Gerichte zur Durchführung eines Vorabentscheidungsverfahrens vor dem Gerichtshof der Europäischen Union. Konkret stellte sich in dem zivilgerichtlichen Verfahren die Frage, ob es mit Unionsrecht vereinbar ist, wenn einem Versicherungsnehmer die Berufung auf ein auf Grundlage der Lebensversicherungsrichtlinien begründetes Widerspruchsrecht, über das er nicht ordnungsgemäß belehrt wurde, wegen Rechtsmissbrauchs verwehrt und ein solcher Rechtsmissbrauch auf Grundlage einer nationalen Rechtsvorschrift allein anhand objektiver Tatbestandsmerkmale ohne das Hinzutreten subjektiver Elemente bejaht wird.
I.
1. Die im Dezember 2010 verstorbene Mutter des Beschwerdeführers schloss im März 2002 bei der Beklagten des Ausgangsverfahrens, der X. Ltd. – Beklagte –, einen Lebensversicherungsvertrag ab. Sie wurde im Antragsformular darauf hingewiesen, dass sie dem Vertrag innerhalb einer Frist von 14 Tagen nach Erhalt des Versicherungsscheins, der Policenbedingungen und der Verbraucher-information widersprechen könne, wobei zur Wahrung der Frist ein rechtzeitiges Absenden der Widerspruchserklärung genüge. Im Dezember 2011 wies die Beklagte den Beschwerdeführer, der im April 2011 als Erbe in den Vertrag eingetreten war, auf das vereinbarte Vertragsende zum 18. März 2012 hin und stellte ihm seine Optionen dar. Dieser entschied sich für die Auszahlung des Ablaufbetrags in Höhe von 11.270,70 €. Im Juni 2016 erklärte der Beschwerdeführer den Widerspruch zu dem Versicherungsvertrag. Er begründete die Zulässigkeit seines Widerspruchs mit einer fehlerhaften Belehrung über sein Rücktrittsrecht und mit unzureichenden Verbraucherinformationen.
2. Das Landgericht Trier wies die unter anderem auf Rückabwicklungsansprüche in Höhe von 17.319,51 € nebst Zinsen gerichtete Klage des Beschwerdeführers mit Urteil vom 26. Januar 2021 – 6 O 502/19 – ab. Der Versicherungsvertrag sei nicht aufgrund des Widerspruchs unwirksam geworden. Es könne dahinstehen, ob der Vertragsschluss im Policen- oder im Antragsmodell erfolgt und ob die Belehrung über das Widerspruchsrecht ordnungsgemäß gewesen sei. Die Ausübung des Rücktrittsrechts sei jedenfalls gemäß § 242 Bürgerliches Gesetzbuch – BGB – unzulässig. So könne nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Ausübung des Widerspruchs- bzw. Rücktrittsrechts wegen widersprüchlichen Verhaltens im Einzelfall trotz einer nur unzureichenden Belehrung ausgeschlossen sein, sofern besonders gravierende Umstände vorlägen. Dies sei hier der Fall. Unabhängig davon, ob die Belehrung über das Widerspruchsrecht den rechtlichen Anforderungen genüge, sei die ursprüngliche Versicherungsnehmerin dadurch darauf hingewiesen worden, dass sie sich kurzfristig von dem Vertrag lösen könne. Sie habe den Bestand des Vertrags allerdings nicht in Frage gestellt und während dessen Laufzeit von 2002 bis zu ihrem Tod im Jahr 2010 – über acht Jahre hinweg – vierteljährlich Auszahlungen erhalten. Nach Eintritt in den Versicherungsvertrag habe auch der Beschwerdeführer dessen Bestand nicht in Frage gestellt. Nach der Vertragsabrechnung im März 2012 sei er vier weitere Jahre untätig geblieben und habe im Juni 2016 – 14 Jahre nach dem Vertragsschluss – unvermittelt den Widerspruch zu dem Vertrag erklärt, ohne dass er innerhalb dieses Zeitraums gegenüber der Beklagten auch nur ansatzweise zum Ausdruck gebracht hätte, dass er trotz der erfolgten Abwicklung des Vertrages den Widerspruch noch erklären wolle. Dieser lange Zeitraum nach endgültiger Abwicklung des Vertrages begründe einen besonders gravierenden Umstand, der den Einwand des Rechtsmissbrauchs wegen Verstoßes gegen Treu und Glauben rechtfertige.
3. Im Berufungsverfahren erteilte das Oberlandesgericht Koblenz mit Beschluss vom 27. September 2021 einen Hinweis nach § 522 Abs. 2 Zivilprozessordnung – ZPO –. Es sei beabsichtigt, die Berufung durch Beschluss zurückzuweisen. Die Ausübung des Widerspruchsrechts stelle sich aufgrund der Gesamtumstände des Einzelfalls als grob widersprüchliches und damit gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstoßendes Verhalten des Beschwerdeführers dar.
4. Das Oberlandesgericht Koblenz wies die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Trier mit dem angegriffenen Beschluss vom 2. November 2021 als unbegründet zurück. Insbesondere treffe es nicht zu, dass rechtsmissbräuchliches Verhalten nur festgestellt werden könne, wenn die vom Gerichtshof der Europäischen Union entwickelten Voraussetzungen eines Rechtsmissbrauchs – vor allem ein zusätzliches subjektives Element – vorlägen. Zwar seien die Vorgaben des Unionsrechts bei der Anwendung des nationalen Einwands des Rechtsmissbrauchs zu berücksichtigen, sofern dieser unionsrechtlich verbürgte Rechte beeinträchtige. Der Europäische Gerichtshof halte den Einwand des Rechtsmissbrauchs nach nationalem Recht aber grundsätzlich für zulässig. Zwar dürfe er die volle Wirksamkeit des Unionsrechts und dessen einheitliche Anwendung nicht beeinträchtigen. Insbesondere dürften die mit dem Unionsrecht verfolgten Zwecke nicht vereitelt werden. Sofern der Einwand des Rechtsmissbrauchs Rechte oder Ansprüche beschränke, die aus einer Richtlinienumsetzung resultierten, und sofern die Richtlinie keinen Missbrauchsvorbehalt enthalte, mache die Anwendung des § 242 BGB gegebenenfalls eine richtlinienkonforme Auslegung des nationalen Rechts erforderlich. Daran gemessen sei nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs grundsätzlich von einem ewigen Widerspruchsrecht auszugehen, wenn sich erweise, dass der Versicherungsnehmer nicht ordnungsgemäß über sein Lösungsrecht vom Lebensversicherungsvertrag belehrt worden sei. Der Europäische Gerichtshof erkenne aber an, dass die nationalen Gerichte einen Rechtsmissbrauch nach nationalem Recht prüfen und feststellen dürften, wenn – wie vorliegend – keine europäischen Regelungen zum Rechtsmissbrauch getroffen seien. Demgegenüber seien die Entscheidungen des Gerichtshofs, auf die der Beschwerdeführer sich berufe, nicht zum Recht der Lebensversicherungen ergangen, sondern zu Verbraucherkrediten. Sie stünden einer Entscheidung anhand der allgemeinen Voraussetzungen eines rechtsmissbräuchlichen Verhaltens daher nicht entgegen. Der Sinn der Lebensversicherungsrichtlinien, dem Verbraucher nach Vertragsschluss durch ein grundsätzlich unbefristetes Lösungsrecht vom Vertrag noch eine genaue Prüfung der übernommenen Pflichten sowie einen Vergleich mit Produkten anderer Anbieter am Lebensversicherungsmarkt zu ermöglichen, sei durch die Anwendung der Grundsätze zum rechtsmissbräuchlichen Verhalten als Fallgruppe des § 242 BGB nicht gefährdet, insbesondere da vorliegend eine – wenn auch möglicherweise nicht ordnungsgemäße – Belehrung erfolgt sei.
5. Die hiergegen gerichtete Anhörungsrüge wies das Oberlandesgericht Koblenz mit dem angegriffenen Beschluss vom 9. Februar 2022 zurück. Der Senat habe den Sachvortrag des Beschwerdeführers berücksichtigt. Insbesondere habe er sich mit der zitierten Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs auseinandergesetzt. Lediglich klarstellend werde darauf hingewiesen, dass das Urteil des Gerichtshofs vom 9. September 2021 (– C-33/20 u.a. –, juris – Volkswagen Bank) nicht zu den Lebensversicherungsrichtlinien, sondern zu Verbraucherdarlehensverträgen ergangen sei. Diese Rechtsgebiete seien einander nicht gleichzustellen. Darlehensverträge hätten bereits im Ausgangspunkt eine vollkommen andere Vertragsgestaltung und Zielsetzung als Lebensversicherungen. Es handele sich um vollständig verschiedene Vertragstypen, die lediglich die Gemeinsamkeit aufwiesen, dass ein Verbraucher an ihnen beteiligt sei. Die Verbraucherinformationen, die dem Versicherungsnehmer zu erteilen seien, seien aber völlig andere als die, die der kreditgebenden Bank gegenüber dem Kreditnehmer oblägen. Nicht identisch seien auch die Anforderungen an die Belehrung zum Vertragswiderspruch und die Voraussetzungen eines solchen. Die Folgen einer etwaigen Vertragsrückabwicklung seien ebenfalls nicht gleichzusetzen. Der Widerruf eines Ratenkredites habe für den Verbraucher in erster Linie zur Folge, dass er das erhaltene Kapital zurückzahlen müsse. Ein Anspruch auf Ersatz von Nutzungen und Raten bestehe nicht. Der Beschwerdeführer mache dagegen umfassende bereicherungsrechtliche Nutzungsersatzansprüche geltend. Derartigen Ansprüchen könne der Einwand des Rechtsmissbrauchs nach § 242 BGB entgegengehalten werden, wenn dessen enge Voraussetzungen – wie hier – im Einzelfall vorlägen. Damit stehe im Einklang, dass der Gerichtshof der Europäischen Union in seinem Urteil vom 19. Dezember 2019 (– C-355/18 u.a. –, juris – Rust-Hackner) entschieden habe, dass Fehler bei den mitgeteilten Informationen, die dem Versicherungsnehmer nicht die Möglichkeit des Rücktritts nähmen, dem Anlaufen der Widerspruchsfrist unter Umständen nicht entgegenstünden. Dieses Urteil betreffe zwar nicht die Frage der Treuwidrigkeit. Der Europäische Gerichtshof habe aber deutlich gemacht, dass im Bereich der Lebensversicherungsrichtlinien die nationalen Gerichte ihre Prüfung an einer Gesamtwürdigung auszurichten hätten, bei der insbesondere dem nationalen Rechtsrahmen und den Umständen des Einzelfalls Rechnung zu tragen sei.
II.
Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer zuletzt noch eine Verletzung des Willkürverbots (Art. 17 Abs. 1 Verfassung für Rheinland-Pfalz – LV –) im Hinblick auf den gesetzlichen Richter (Art. 6 Abs. 1 LV) und des Rechts auf effektiven Rechtsschutz (Art. 124 LV).
Das Oberlandesgericht habe das Recht auf den gesetzlichen Richter und die Rechtsschutzgarantie verletzt, indem es willkürlich gegen seine Vorlagepflicht an den Gerichtshof der Europäischen Union verstoßen und durch die Berufungszurückweisung im Beschlusswege zugleich die Möglichkeit einer Revisionszulassung versperrt habe. Die materiell-rechtliche Entscheidung des Oberlandesgerichts hinsichtlich der Annahme von Rechtsmissbrauch wird dagegen ausdrücklich nicht gerügt.
1. Das Oberlandesgericht sei offensichtlich zur Durchführung eines Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 267 Abs. 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union – AEUV – verpflichtet gewesen. Denn die Entscheidung, dem Beschwerdeführer die Berufung auf ein ihm nach Unionsrecht zustehendes Widerspruchsrecht allein wegen einer nach nationalen Kriterien beurteilten Rechtsmissbräuchlichkeit zu verwehren, sei mit Unionsrecht nicht zu vereinbaren. Dies ergebe sich eindeutig aus dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 9. September 2021 (– C-33/20 u.a. –, juris – Volkswagen Bank).
2. Das Oberlandesgericht sei seiner Vorlagepflicht willkürlich nicht nachgekommen. Es habe nämlich eine klare oder geklärte Rechtslage des Unionsrechts, die eine Vorlage entbehrlich machen würde, ohne nachvollziehbare Begründung unterstellt.
So habe das Oberlandesgericht keine einzige Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union benennen können, nach der Rechte aus einer europäischen Richtlinie wegen eines nach nationalen Kriterien beurteilten Rechtsmissbrauchs ausgeschlossen werden dürften. Es sei schon zweifelhaft, ob der Rechtsmissbrauchseinwand in Fällen unzureichender Belehrung über das Widerspruchsrecht überhaupt angewendet werden dürfe. Jedenfalls habe der Gerichtshof in zahlreichen Entscheidungen eigene Tatbestandsvoraussetzungen für einen Rechtsmissbrauch formuliert. Diese umfassten neben objektiven Kriterien – anders als nach deutschem Recht – stets auch subjektive Elemente. Spätestens mit dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 9. September 2021 (– C-33/20 u.a. –, juris – Volkswagen Bank) sei unionsrechtlich eindeutig geklärt, dass sich die Voraussetzungen für ein rechtsmissbräuchliches Verhalten allein unionsrechtlich bestimmen ließen. Ein danach zwingend erforderliches subjektives Tatbestandsmerkmal habe das Oberlandesgericht aber weder geprüft noch sei ein solches erfüllt.
Auch sei die Annahme des Oberlandesgerichts nicht vertretbar, dass die zu der Verbraucherkreditrichtlinie getroffenen Feststellungen des Gerichtshofs der Europäischen Union im Urteil vom 9. September 2021 (– C-33/20 u.a. –, juris – Volkswagen Bank) nicht auf die Lebensversicherungsrichtlinien übertragbar seien. Der Gerichtshof selbst habe in dem Urteil nämlich eine Parallele zwischen beiden Rechtsgebieten gezogen, indem er dort auf seine Rechtsprechung zu den Lebensversicherungsrichtlinien verwiesen habe. Ohnehin sei es aber auch allgemein zulässig, Feststellungen des Gerichtshofs auf andere Konstellationen und Rechtsgebiete zu übertragen. Dies gelte erst Recht angesichts der Gemeinsamkeiten der hier betroffenen Rechtsgebiete. So handele es sich jeweils um Dauerschuldverhältnisse, beide Richtlinien verfolgten den Zweck einer ausreichenden Aufklärung der Verbraucherinnen und Verbraucher über alle wesentlichen Gesichtspunkte der Verträge und bezweckten deren Schutz durch ein Vertragslösungsrecht. Nichts anderes folge daraus, dass die Verbraucherkreditrichtlinien eine Vollharmonisierung anstrebten, wohingegen mit den Lebensversicherungsrichtlinien (nur) eine Teilharmonisierung beabsichtigt sei. Denn zum einen eröffne auch die Verbraucherkreditrichtlinie Gestaltungsspielräume. Insbesondere seien in der Richtlinie keine Vorgaben zum Rechtsmissbrauch getroffen worden. Zum anderen handele es sich bei dem in den Lebensversicherungsrichtlinien vorausgesetzten Vertragslösungsrecht um einen Mindeststandard, der auch im (nur) teilharmonisierten Bereich nicht beschränkt werden dürfe. Lediglich die Modalitäten der Ausübung und die Rechtsfolgen seien dem nationalen Gesetzgeber zur Regelung überlassen, wobei auch insoweit der unionsrechtliche Grundsatz der Effektivität zu wahren sei. Hinsichtlich des Bestehens eines Lösungsrechts verbleibe aber – wie hinsichtlich des Widerrufsrechts nach der Verbraucherkreditrichtlinie – kein nationalstaatlicher Spielraum. Von einer Übertragbarkeit der Feststellungen des Gerichtshofs in seinem Urteil vom 9. September 2021 (– C-33/20 u.a. –, juris – Volkswagen Bank) auf die Lebensversicherungsrichtlinien seien jüngst auch das Oberlandesgericht Rostock (Beschluss vom 9. November 2021 und Urteil vom 8. März 2022 – 4 U 51/21 –, juris) und das Landgericht Erfurt (Beschluss vom 30. Dezember 2021 – 8 O 1519/20 –, juris) ausgegangen.
Schließlich könne das Oberlandesgericht das Absehen von einer Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union nicht unter Berufung auf den Kammerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 2. Februar 2015 (– 2 BvR 2437/14 –, juris Rn. 43 ff.) rechtfertigen. Zwar betreffe diese Entscheidung die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach dem Widerspruchsrecht im Lebensversicherungsrecht der nach nationalen Kriterien beurteilte Rechtsmissbrauchseinwand entgegengehalten werden könne. Auch sei das Bundesverfassungsgericht davon ausgegangen, dass der Verzicht des Bundesgerichtshofs auf eine Vorlage an den Gerichtshof in diesem Zusammenhang das Recht auf den gesetzlichen Richter nicht verletzt habe. Allerdings habe das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich nur für den Fall einer ordnungsgemäßen Belehrung über die dem Versicherungsnehmer zustehenden Rechte entschieden, woran es vorliegend fehle. Vor allem aber sei die Entscheidung durch die aktuelle Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union überholt.
III.
Der Verfassungsgerichtshof hat der Landesregierung und der Beklagten des Ausgangsverfahrens Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.
1. Das Ministerium der Justiz hat namens der Landesregierung von einer Stellungnahme abgesehen.
2. Die Beklagte des Ausgangsverfahrens hält die Verfassungsbeschwerde für unzulässig. Eine Verletzung in den Rechten des Beschwerdeführers komme nicht in Betracht, da es schon an einer fehlerhaften Anwendung einfachen Rechts fehle. Jedenfalls erweise sich die Rechtsanwendung aber nicht als willkürlich oder unsachlich. Die Entscheidung sei vielmehr vertretbar und überzeugend begründet und stehe im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sowie zahlreicher Obergerichte.
a) Der strenge verfassungsrechtliche Maßstab für die Annahme von Willkür sei nicht erfüllt, soweit das Oberlandesgericht die Feststellung eines Rechtsmissbrauchs allein nach nationalen Maßstäben und ohne das Vorliegen eines subjektiven Tatbestandselements vorgenommen habe. Das Oberlandesgericht habe sich nämlich ausführlich mit der Frage der Ausstrahlungswirkung des Unionsrechts auf das Institut des Rechtsmissbrauchs auseinandergesetzt und ausgeführt, dass die Vorgaben des Unionsrechts insoweit zu berücksichtigen seien. Dabei habe es insbesondere die Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 9. September 2021 (– C-33/20 u.a. –, juris – Volkswagen Bank) sowie deren Übertragbarkeit auf die vorliegende Konstellation gewürdigt. Von einer krassen Verkennung der Rechtslage könne demnach keine Rede sein.
Hinzu komme, dass die vom Oberlandesgericht vertretene Auffassung mit der mittlerweile gefestigten Rechtsprechung zu dieser Frage in Einklang stehe. Auch der Bundesgerichtshof habe sich in seinem Beschluss vom 17. November 2021 (– IV ZR 38/21 –, n.v.) – nach der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 9. September 2021 (– C-33/20 u.a. –, juris – Volkswagen Bank) – erneut mit den unionsrechtlichen Fragestellungen befasst und dennoch keine Veranlassung gesehen, von seiner bisherigen Rechtsprechung abzuweichen. Es könne nicht ernsthaft behauptet werden, dass der Bundesgerichtshof und zahlreiche Oberlandesgerichte die Rechtslage in krasser Weise verkannt hätten.
b) Auch die Rechte auf den gesetzlichen Richter und auf effektiven Rechtsschutz seien nicht verletzt. Für eine Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter fehle es an einer willkürlich fehlerhaften Auslegung und Anwendung einfachen Rechts. Das Oberlandesgericht habe die Nicht-Zulassung der Revision überzeugend darauf gestützt, dass es sich um eine nicht verallgemeinerungsfähige Einzelfallentscheidung im Rahmen der allgemein geklärten Voraussetzungen rechtsmissbräuchlichen Verhaltens handele.
Da die Maßstäbe des Europäischen Gerichtshofs zur Berücksichtigung von Rechtsmissbrauch abschließend geklärt seien, wäre eine erneute Vorlage an den Gerichtshof sogar unzulässig. Nationales Recht dürfe der Gerichtshof nicht auslegen und er könne auch keine Abwägungsentscheidung im Einzelfall vornehmen. Jedenfalls sei die Entscheidung des Oberlandesgerichts, von einer Vorlage abzusehen, vertretbar und keinesfalls willkürlich. Dieser Ansicht habe sich auch das Bundesverfassungsgericht in seinem Kammerbeschluss vom 2. Februar 2015 (– 2 BvR 2437/14 –, juris) angeschlossen, woraufhin auch zahlreiche weitere Gerichte – unter anderem der Bundesgerichtshof – von einer Vorlage abgesehen hätten.
Auch hinsichtlich der Nicht-Zulassung der Revision sei die Begründung des Oberlandesgerichts, es handele sich um eine nicht verallgemeinerbare Würdigung der Umstände des Einzelfalls nicht zu beanstanden. Da es einzig um eine Bewertung des individuellen Verhaltens des Beschwerdeführers als treuwidrig gehe und allgemein gültige Maßstäbe dazu, ob und unter welchen Voraussetzungen eine fehlende oder unzureichende Belehrung einer Anwendung von § 242 BGB entgegenstehe, nicht aufgestellt werden könnten, komme der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zu. Die Anwendung der Grundsätze von Treu und Glauben im Einzelfall obliege nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs grundsätzlich dem Tatgericht.
IV.
B.
Die Verfassungsbeschwerde, über die der Verfassungsgerichtshof gemäß § 49 Abs. 1 des Landesgesetzes über den Verfassungsgerichtshof – VerfGHG – ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist zulässig. Insbesondere steht ihr die Bundesrechtsklausel (§ 44 Abs. 2 VerfGHG) nicht entgegen.
Die gegen die Entscheidungen des Oberlandesgerichts Koblenz und damit gegen die öffentliche Gewalt des Landes erhobene Verfassungsbeschwerde ist gemäß Art. 130a, Art. 135 Abs. 1 Nr. 4 der Verfassung für Rheinland-Pfalz – LV –, § 44 Abs. 1 VerfGHG statthaft. Der Umstand, dass die angefochtenen Entscheidungen auf bundesrechtliche Regelungen (Bürgerliches Gesetzbuch, Gesetz über den Versicherungsvertrag) gestützt sind, steht einer Prüfung durch den Verfassungsgerichtshof nicht entgegen. Zwar ist die Verfassungsbeschwerde unzulässig, soweit die öffentliche Gewalt des Landes Bundesrecht ausführt oder anwendet (§ 44 Abs. 2 Satz 1 VerfGHG, vgl. auch Art. 135 Abs. 2 Satz 2 LV). § 44 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 VerfGHG lässt hiervon jedoch eine Ausnahme zu. Der Verfassungsgerichtshof ist danach befugt, die Durchführung des bundesrechtlich geregelten Verfahrens durch die Gerichte an den Grundrechten der Landesverfassung zu messen, soweit diese den gleichen Inhalt haben wie die entsprechenden Rechte des Grundgesetzes – GG – (vgl. VerfGH RP, Beschluss vom 16. März 2001 – VGH B 14/00 –, AS 29, 89 [91 f.]; Beschluss vom 11. Mai 2006 – VGH B 6/06 –, AS 33, 186 [188]; Beschluss vom 29. Oktober 2010 – VGH B 27/10 –, LKRZ 2011, 14; Urteil vom 24. Februar 2014 – VGH B 26/13 –, AS 42, 157 [162]; Beschluss vom 19. November 2019 – VGH B 10/19 –, juris Rn. 27; Urteil vom 15. Januar 2020 – VGH B 19/19 –, AS 47, 350 [356 f.]; vgl. ferner BVerfG, Beschluss vom 15. Oktober 1997 – 2 BvN 1/95 –, BVerfGE 96, 345 [372]).
Demnach ist die Prüfungsbefugnis des Verfassungsgerichtshofs vorliegend eröffnet. Die aufgeworfenen Fragen der Notwendigkeit der Durchführung eines Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 267 AEUV sowie der Zulässigkeit einer Zurückweisung der Berufung im Beschlusswege nach § 522 Abs. 2 ZPO betreffen ausschließlich die Durchführung des gerichtlichen Verfahrens im Sinne des § 44 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 VerfGHG; eine Verletzung materiellen Bundesrechts ist dagegen nicht geltend gemacht. Dabei schützt der in der Sache als verletzt gerügte allgemeine Justizgewährleistungsanspruch aus Art. 2 LV in Verbindung mit dem in Art. 77 LV verankerten Rechtsstaatsprinzip das Recht auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes im Zivilprozess – ebenso wie dies im Verhältnis von Art. 124 LV zu Art. 19 Abs. 4 GG gilt (vgl. VerfGH RP, Urteil vom 15. Januar 2020 – VGH B 19/19 –, AS 47, 350 [357]) – übereinstimmend mit der entsprechenden, aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 30. Mai 2012 – 1 BvR 509/11 –, juris Rn. 8 m.w.N.; BVerfG, Beschluss vom 12. Februar 1992 – 1 BvL 1/89 –, BVerfGE 85, 337 [345]; stRspr) abgeleiteten Gewährleistung des Grundgesetzes (vgl. VerfGH RP, Beschluss vom 28. Dezember 2021 – VGH B 62/21 –, juris Rn. 24). Auch ist das Recht auf den gesetzlichen Richter (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 LV) inhaltlich vergleichbar mit Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG (vgl. VerfGH RP, Beschluss vom 29. Oktober 2010 – VGH B 27/10 –, LKRZ 2011, 14; Urteil vom 15. Januar 2020 – VGH B 19/19 –, AS 47, 350 [357]; Stahnecker, in: Brocker/Droege/Jutzi [Hrsg.], Verfassung für Rheinland-Pfalz, 2. Aufl. 2022, Art. 6 Rn. 4, 7 m.w.N.).
C.
Die Verfassungsbeschwerde ist auch begründet. Der Beschluss des Oberlandesgerichts Koblenz vom 2. November 2021 verletzt den Beschwerdeführer in seinem Recht auf den gesetzlichen Richter aus Art. 6 Abs. 1 Satz 1 LV.
I.
1. Der Gerichtshof der Europäischen Union ist gesetzlicher Richter im Sinne des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 LV (vgl. VerfGH RP, Beschluss vom 26. Oktober 2016 – VGH B 16/16 –, n.v.). Unter den Voraussetzungen des Art. 267 Abs. 3 AEUV sind die nationalen Gerichte von Amts wegen gehalten, den Gerichtshof anzurufen. Kommt ein deutsches Gericht seiner Pflicht zur Anrufung des Gerichtshofs im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens nicht nach oder stellt es ein Vorabentscheidungsersuchen, obwohl eine Zuständigkeit des Gerichtshofs der Europäischen Union nicht gegeben ist, kann dem Rechtsschutzsuchenden des Ausgangsrechtsstreits der gesetzliche Richter entzogen sein (vgl. VerfGH RP, Beschluss vom 26. Oktober 2016 – VGH B 16/16 –, n.v.; entspr. zu Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG BVerfG, Urteil vom 28. Januar 2014 – 2 BvR 1561/12 u.a. –, BVerfGE 135, 155 [230 ff. Rn. 176 ff.] m.w.N.; Kammerbeschluss vom 14. Januar 2021 – 1 BvR 2853/19 –, juris Rn. 9; zur Inhaltsgleichheit von Art. 6 Abs. 1 LV und Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG VerfGH RP, Beschluss vom 16. März 2001 – VGH B 14/00 –, AS 29, 89 [92]).
Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982 – C-283/81 –, juris Rn. 21 – C.I.L.F.I.T.; Urteil vom 6. Oktober 2021 – C-561/19 –, juris Rn. 33, 51 – Consorzio Italian Management) muss ein nationales letztinstanzliches Gericht seiner Vorlagepflicht nachkommen, wenn sich in einem bei ihm schwebenden Verfahren eine Frage des Unionsrechts stellt, es sei denn, das Gericht hat festgestellt, dass die gestellte Frage nicht entscheidungserheblich ist, dass die betreffende unionsrechtliche Bestimmung bereits Gegenstand einer Auslegung durch den Gerichtshof war (acte éclairé) oder dass die richtige Anwendung des Unionsrechts derart offenkundig ist, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt (acte clair) (vgl. VerfGH RP, Beschluss vom 26. Oktober 2016 – VGH B 16/16 –, n.v.; BVerfG, Urteil vom 28. Januar 2014 – 2 BvR 1561/12 u.a. –, BVerfGE 135, 155 [231 Rn. 178]; Kammerbeschluss vom 14. Januar 2021 – 1 BvR 2853/19 –, juris Rn. 10). Von einem acte clair darf das innerstaatliche Gericht aber nur ausgehen, wenn es überzeugt ist, dass auch für die Gerichte der übrigen Mitgliedstaaten und für den Gerichtshof der Europäischen Union die gleiche Gewissheit bestünde. Ein acte éclairé liegt vor, wenn die gestellte Frage tatsächlich bereits in einem gleichgelagerten Fall Gegenstand einer Vorabentscheidung gewesen ist, oder wenn eine gesicherte Rechtsprechung des Gerichtshofs vorliegt, durch die die betreffende Rechtsfrage gelöst ist, gleich in welcher Art von Verfahren sich diese Rechtsprechung gebildet hat, und selbst dann, wenn die strittigen Fragen nicht vollkommen identisch sind. Nur in diesen Fällen darf das Gericht von einer Vorlage absehen und die Frage in eigener Verantwortung lösen (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 14. Januar 2021 – 1 BvR 2853/19 –, juris Rn. 10; EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982 – C-283/81 –, juris Rn. 16 – C.I.L.F.I.T.; Urteil vom 6. Oktober 2021 – C-561/19 –, juris Rn. 33, 36, 40 – Consorzio Italian Management).
2. Nicht jede Verletzung der unionsrechtlichen Vorlagepflicht stellt aber zugleich einen Verstoß gegen das Recht auf den gesetzlichen Richter dar. Vielmehr ist die Auslegung und
Anwendung des jeweiligen Verfahrensrechts im Grundsatz Sache der Fachgerichte (VerfGH RP,
Urteil vom 15. Januar 2020 – VGH B 19/19 –, AS 47, 350 [360]). Eine Verletzung von Verfassungsrecht liegt nur vor, wenn die Auslegung und Anwendung der
Zuständigkeitsregel des Art. 267 Abs. 3 AEUV nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist (vgl. VerfGH RP, Beschluss vom 26. Oktober 2016 – VGH B
16/16 –, n.v.; entspr. zu Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG BVerfG, Urteil vom 28. Januar 2014 – 2 BvR 1561/12 u.a. –, BVerfGE 135, 155 [231 f. Rn. 180] m.w.N.;
Kammerbeschluss vom 14. Januar 2021 – 1 BvR 2853/19 –, juris Rn. 11).Durch die zurückgenommene verfassungsrechtliche Prüfung behalten die Fachgerichte bei der Auslegung und
Anwendung von Unionsrecht einen Spielraum eigener Einschätzung und Beurteilung, der demjenigen bei der Handhabung einfachrechtlicher Bestimmungen der deutschen Rechtsordnung
entspricht. Der Verfassungsgerichtshof wacht – ebenso wie das Bundesverfassungsgericht (vgl. BVerfG, Urteil vom 28. Januar 2014 – 2 BvR 1561/12
u.a. –, BVerfGE 135, 155 [232 Rn. 180]; Kammerbeschluss vom 14. Januar 2021 – 1 BvR 2853/19 –, juris Rn. 11) – allein über die Einhaltung der Grenzen dieses Spielraums.
Die Vorlagepflicht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV wird in den Fällen offensichtlich unhaltbar gehandhabt, in denen ein letztinstanzliches Hauptsachegericht eine Vorlage trotz der – seiner Auffassung nach bestehenden – Entscheidungserheblichkeit der unionsrechtlichen Frage überhaupt nicht in Erwägung zieht, obwohl es selbst Zweifel hinsichtlich der richtigen Beantwortung der Frage hegt und das Unionsrecht somit eigenständig fortbildet (grundsätzliche Verkennung der Vorlagepflicht) (vgl. BVerfG, Urteil vom 28. Januar 2014 – 2 BvR 1561/12 u.a. –, BVerfGE 135, 155 [232 Rn. 181]).Eine Verkennung der Vorlagepflicht ist auch anzunehmen, wenn das Gericht offenkundig einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union nicht auswertet (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 30. März 2022 – 2 BvR 2069/21 –, juris Rn. 40). Gleiches gilt in den Fällen, in denen das letztinstanzliche Hauptsachegericht in seiner Entscheidung bewusst von der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu entscheidungserheblichen Fragen abweicht und gleichwohl nicht oder nicht neuerlich vorlegt (bewusstes Abweichen ohne Vorlagebereitschaft). Liegt zu einer entscheidungserheblichen Frage des Unionsrechts einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofs hingegen noch nicht vor oder hat eine vorliegende Rechtsprechung die entscheidungserhebliche Frage möglicherweise noch nicht erschöpfend beantwortet oder erscheint eine Fortentwicklung der Rechtsprechung des Gerichtshofs nicht nur als entfernte Möglichkeit (Unvollständigkeit der Rechtsprechung), wird das Recht auf den gesetzlichen Richter verletzt, wenn das letztinstanzliche Hauptsachegericht den ihm in solchen Fällen notwendig zukommenden Beurteilungsrahmen in unvertretbarer Weise überschreitet (vgl. BVerfG, Urteil vom 28. Januar 2014 – 2 BvR 1561/12 u.a. –, BVerfGE 135, 155 [232 f. Rn. 182 f.]). Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn mögliche Gegenauffassungen zu der entscheidungserheblichen Frage des Unionsrechts gegenüber der vom Gericht vertretenen Meinung eindeutig vorzuziehen sind (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 14. Januar 2021 – 1 BvR 2853/19 –, juris Rn. 14). Jedenfalls bei willkürlicher Annahme eines „acte clair“ oder eines „acte éclairé“ durch die Fachgerichte ist der Beurteilungsrahmen in unvertretbarer Weise überschritten (vgl. VerfGH RP, Beschluss vom 26. Oktober 2016 – VGH B 16/16 –, n.v.; entspr. BVerfG, Urteil vom 28. Januar 2014 – 2 BvR 1561/12 u.a. –, BVerfGE 135, 155 [232 f. Rn. 183] m.w.N.; Kammerbeschluss vom 14. Januar 2021 – 1 BvR 2853/19 –, juris Rn. 14). In diesem Zusammenhang ist auch zu prüfen, ob sich das Gericht hinsichtlich des Unionsrechts ausreichend kundig gemacht hat. Etwaige einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union muss es auswerten und seine Entscheidung hieran orientieren. Auf dieser Grundlage muss das Fachgericht unter Anwendung und Auslegung des materiellen Unionsrechts die vertretbare Überzeugung bilden, dass die Rechtslage entweder von vornherein eindeutig („acte clair“) oder durch Rechtsprechung in einer Weise geklärt ist, die keinen vernünftigen Zweifel offenlässt („acte éclairé“). Hat es dies nicht getan, verkennt es regelmäßig die Bedingungen für die Vorlagepflicht (vgl. BVerfG, Urteil vom 28. Januar 2014 – 2 BvR 1561/12 u.a. –, BVerfGE 135, 155 [233 Rn. 184]; Kammerbeschluss vom 14. Januar 2021 – 1 BvR 2853/19 –, juris Rn. 15 m.w.N.). Bei den vorstehend genannten Fallgruppen handelt es sich um eine nicht abschließende Aufzählung von Beispielen für eine verfassungsrechtlich erhebliche Verletzung der Vorlagepflicht (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 14. Januar 2021 – 1 BvR 2853/19 –, juris Rn. 16).
3. Offensichtlich unhaltbar gehandhabt wird Art. 267 Abs. 3 AEUV im Falle der Unvollständigkeit der Rechtsprechung schließlich auch dann, wenn das Fachgericht das Vorliegen einer von vornherein eindeutigen oder zweifelsfrei geklärten Rechtslage ohne sachliche (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. Dezember 2017 – 2 BvR 424/17 –, BVerfGE 147, 364 [385 Rn. 52]; Kammerbeschluss vom 30. März 2022 – 2 BvR 2069/21 –, juris Rn. 42 m.w.N.) bzw. sachlich einleuchtende Begründung annimmt (vgl. BVerfG, Urteil vom 28. Januar 2014 – 2 BvR 1561/12 u.a. –, BVerfGE 135, 155 [233 Rn. 185]). Die Zurücknahme der verfassungsgerichtlichen Prüfung der Auslegung und Anwendung der Zuständigkeitsregel des Art. 267 Abs. 3 AEUV durch die Fachgerichte auf eine Überschreitung des Beurteilungsspielraums geht einher mit einer Verpflichtung der Fachgerichte zur Begründung ihrer diesbezüglichen Entscheidung.
Die Pflicht der Fachgerichte zur Begründung folgt aus den verfassungsrechtlichen Gewährleistungen des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 LV bzw. Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG und steht deshalb nicht in Widerspruch zu dem Grundsatz, dass letztinstanzliche Entscheidungen grundsätzlich von Verfassungs wegen nicht begründet zu werden brauchen (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 21. März 2012 – 1 BvR 2365/11 –, juris Rn. 19). Dabei wirkt die Integrationsverantwortung des Grundgesetzes, die sämtliche Staatsorgane und damit auch die (Landes-)Verfassungsgerichte tragen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 6. November 2019 – 1 BvR 276/17 –, BVerfGE 152, 216 [238 f. Rn. 55 f.]), auf die Begründungspflicht hinsichtlich der Anwendung des Art. 267 Abs. 3 AEUV ein. So fordert die in Art. 23 Abs. 1 GG vorgesehene Öffnung des Grundgesetzes für das Unionsrecht von allen Staatsorganen eine Mitwirkung an dessen Entfaltung und Umsetzung (vgl. BVerfG, Beschluss vom 6. November 2019 – 1 BvR 276/17 –, BVerfGE 152, 216 [238 f. Rn. 55 f., 243 Rn. 67]). Für den Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz ergibt sich dies zusätzlich aus Art. 74a Satz 1 LV. Die Verfassungsgerichte nehmen ihre Integrationsverantwortung unter anderem durch die Kontrolle der Fachgerichte auf die Beachtung der Vorlagepflicht aus Art. 267 Abs. 3 AEUV unter der Perspektive der Garantie des gesetzlichen Richters wahr, da die unionale Vorlagepflicht verfassungsrechtlich durch Art. 6 Abs. 1 Satz 1 LV bzw. Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG abgesichert wird (siehe auch BVerfG, Beschluss vom 6. November 2019 – 1 BvR 276/17 –, BVerfGE 152, 216 [242 Rn. 64]; Calliess, NJW 2013, 1905 [1907]; Meickmann, DVBl. 2022, 278 [283]). Verfassungsrechtlich abgesichert wird dabei auch die unionsrechtlich aus dem mit Art. 267 AEUV eingeführten System der unmittelbaren Zusammenarbeit zwischen dem Gerichtshof der Europäischen Union und den einzelstaatlichen Gerichten unter Berücksichtigung von Art. 47 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union folgende Verpflichtung eines letztinstanzlichen Gerichts zur Begründung seiner Entscheidung, wenn es sich wegen fehlender Entscheidungserheblichkeit oder einer von vornherein eindeutigen oder zweifelsfrei geklärten Rechtslage von der Vorlageplicht entbunden sieht (vgl. EuGH, Urteil vom 6. Oktober 2021 – C-561/19 –, juris Rn. 27, 51, 53 – Consorzio Italian Management).
Das Fachgericht hat deshalb Gründe anzugeben, die dem Verfassungsgericht die gebotene Kontrolle am Maßstab der Verfassung überhaupt erst ermöglichen (siehe auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 14. Januar 2021 – 1 BvR 2853/19 –, juris Rn. 15 m.w.N.). Ist die verfassungsgerichtliche Kontrolle auf eine Vertretbarkeitsprüfung beschränkt, muss sich umgekehrt gerade die Vertretbarkeit der Handhabung der Vorlagepflicht aus der Begründung des Fachgerichts ergeben. Das Fachgericht muss eine nachvollziehbare, vertretbare Begründung dafür geben, dass die maßgebliche Rechtsfrage durch den Gerichtshof der Europäischen Union bereits entschieden oder die richtige Antwort auf diese Rechtsfrage derart offenkundig ist, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt (siehe auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 25. Februar 2010 – 1 BvR 230/09 –, juris Rn. 21; Kammerbeschluss vom 3. März 2014 – 1 BvR 2534/10 –, juris Rn. 27, 31; Kammerbeschluss vom 30. März 2022 – 2 BvR 2069/21 –, juris Rn. 52). Es darf sich insbesondere nicht auf leerformelhafte Erwägungen beschränken (vgl. Dreher, in: Festschrift für Bornkamm, 2014, S. 128). Dabei hängen der erforderliche Umfang und das Maß der Begründung von den Umständen des Einzelfalls ab.
II.
Daran gemessen hat das Oberlandesgericht Art. 6 Abs. 1 Satz 1 LV verletzt. Die Voraussetzungen der Vorlagepflicht des Art. 267 Abs. 3 AEUV lagen vor (1.). Das Oberlandesgericht hat die Vorlagepflicht auch offensichtlich unhaltbar gehandhabt, da es keine tragfähige Begründung für sein Absehen von einer Vorlage gegeben hat (2.).
1. Das Oberlandesgericht war nach Art. 267 Abs. 3 AEUV verpflichtet, ein Vorabentscheidungsverfahren vor dem Gerichtshof der Europäischen Union dazu durchzuführen, ob und unter welchen Voraussetzungen es mit Unionsrecht vereinbar ist, wenn die Ausübung eines durch die Lebensversicherungsrichtlinien garantierten Widerspruchsrechts wegen Rechtsmissbrauchs des Versicherungsnehmers ausgeschlossen wird, obwohl dieser nicht ordnungsgemäß über sein Recht belehrt wurde. Denn das Oberlandesgericht ist ein zur Vorlage verpflichtetes Gericht im Sinne von Art. 267 Abs. 3 AEUV (a)), es hat nicht festgestellt, dass die in dem bei ihm schwebenden Verfahren sich stellenden Fragen des Unionsrechts nicht entscheidungserheblich sind (b)) und es greift keine der vom Gerichtshof der Europäischen Union anerkannten Ausnahmen von der Vorlagepflicht (c)).
a) Das Oberlandesgericht Koblenz ist ein zur Vorlage verpflichtetes Gericht im Sinne von Art. 267 Abs. 3 AEUV, weil die angegriffene Entscheidung selbst nicht mit (ordentlichen) Rechtsmitteln des nationalen Rechts angefochten werden kann. Insoweit ist nicht auf eine abstrakt-institutionelle, sondern auf eine konkrete Betrachtungsweise abzustellen. Letztinstanzliche Gerichte im Sinne von Art. 267 Abs. 3 AEUV sind solche, deren Entscheidung im konkreten Einzelfall nicht mit einem Rechtsmittel angefochten werden kann (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 3. März 2014 – 1 BvR 2534/10 –, juris Rn. 26; Wegener, in: Calliess/Ruffert [Hrsg.], EUV/AEUV, 6. Aufl. 2022, AEUV Art. 267 Rn. 28; Karpenstein, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim [Hrsg.], Das Recht der Europäischen Union, AEUV Art. 267 Rn. 52 [Januar 2022]; Schwarze/Wunderlich, in: Schwarze/Becker/Hatje/Schoo [Hrsg.], EU-Kommentar, 4. Aufl. 2019, AEUV Art. 267 Rn. 43; Ehricke, in: Streinz, EUV/AEUV, 3. Aufl. 2018, AEUV Art. 267 Rn. 41; Calliess, NJW 2013, 1905 [1906]; wohl auch EuGH, Urteil vom 15. September 2005 – C-495/03 –, juris Rn. 30 – Intermodal Transports; Urteil vom 4. Juni 2002 – C-99/00 –, juris Rn. 14 ff. – Lyckeskog; Marsch, in: Schoch/Schneider [Hrsg.], Verwaltungsrecht, Stand: 41. EL Juli 2021, AEUV Art. 267 Rn. 37). Das ist hier der Fall. Zwar ist der die Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückweisende Beschluss gemäß § 522 Abs. 3 ZPO grundsätzlich in gleicher Weise anfechtbar wie ein die Berufung zurückweisendes Urteil, in dem die Revision nicht zugelassen wurde. Demnach wäre die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision nach § 544 ZPO statthaft. Bei dieser handelt es sich zwar um ein Rechtsmittel im Sinne des Art. 267 Abs. 3 AEUV. Die Nichtzulassungsbeschwerde war im konkreten Fall indes nicht eröffnet, weil der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20.000,00 € nicht überstieg (vgl. § 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO).
b) Das Oberlandesgericht hat nicht festgestellt, dass die in einem bei ihm schwebenden Verfahren sich stellenden Fragen des Unionsrechts nicht entscheidungserheblich sind. Es hat die vom Beschwerdeführer geltend gemachten Rückabwicklungsansprüche mit der Begründung abgelehnt, dass diesem die Ausübung des Widerspruchsrechts aus § 5a des Gesetzes über den Versicherungsvertrag in der Fassung vom 13. Juli 2001 – VVG a.F. – bzw. § 8 VVG a.F. für den im März 2002 geschlossenen Lebensversicherungsvertrag wegen Rechtsmissbrauchs nach § 242 BGB verwehrt sei. Dies gelte unabhängig davon, ob der Versicherungsnehmer ordnungsgemäß über sein Widerspruchsrecht belehrt worden sei, und auch ein subjektives Tatbestandsmerkmal sei für die Annahme rechtsmissbräuchlichen Verhaltens nicht erforderlich; vielmehr richte sich die Rechtsmissbräuchlichkeit gemessen an nationalem Recht nach den objektiven Gesamtumständen.
Das Widerspruchsrecht in dem auf den vorliegenden Fall noch anwendbaren Versicherungsvertragsrecht findet seine Grundlage in Art. 15 Abs. 1 Zweite Richtlinie 90/619/EWG des Rates vom 8. November 1990 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung (Lebensversicherung) und zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs sowie zur Änderung der Richtlinie 79/267/EWG – Zweite Richtlinie Lebensversicherung – in der durch die Richtlinie 92/96/EWG des Rates vom 10. November 1992 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung (Lebensversicherung) sowie zur Änderung der Richtlinien 79/267/EWG und 90/619/EWG – Dritte Richtlinie Lebensversicherung – geänderten Fassung in Verbindung mit Art. 31 Dritte Richtlinie Lebensversicherung. Nach Art. 15 Abs. 1 Zweite Richtlinie Lebensversicherung schreibt jeder Mitgliedstaat vor, dass der Versicherungsnehmer eines individuellen Lebensversicherungsvertrags von dem Zeitpunkt an, zu dem der Versicherungsnehmer davon in Kenntnis gesetzt wird, dass der Vertrag geschlossen ist, über eine Frist verfügt, die zwischen 14 und 30 Tagen betragen kann, um von dem Vertrag zurückzutreten. Dabei soll die Mitteilung des Versicherungsnehmers, dass er vom Vertrag zurücktritt, ihn für die Zukunft von allen aus diesem Vertrag resultierenden Verpflichtungen befreien. Nach Art. 15 Abs. 1 UAbs. 3 Zweite Richtlinie Lebensversicherung werden die übrigen rechtlichen Wirkungen des Rücktritts und die dafür erforderlichen Voraussetzungen nach dem Recht der Mitgliedstaaten geregelt. Weiter sind dem Versicherungsnehmer gemäß Art. 31 Abs. 1 Dritte Richtlinie Lebensversicherung vor Abschluss des Versicherungsvertrages mindestens die in Anhang II Buchstabe A aufgeführten Angaben mitzuteilen, wozu unter anderem die Modalitäten der Ausübung des Widerrufs und Rücktrittrechts gehören.
Die Richtlinie enthält weder zu den Folgen einer fehlenden oder unzureichenden Belehrung über das Widerspruchs- bzw. Rücktrittsrecht (vgl. EuGH, Urteil vom 19. Dezember 2013 – C-209/12 –, juris Rn. 22 f. – Endress; Urteil vom 19. Dezember 2019 – C-355/18 u.a. –, juris Rn. 62 – Rust-Hackner) noch über die Voraussetzungen und Folgen rechtsmissbräuchlichen Verhaltens des Versicherungsnehmers eine ausdrückliche Regelung (siehe etwa Schwintowski, VuR 2022, 83 [88]). Deshalb stellte sich in dem Verfahren vor dem Oberlandesgericht die Frage, ob es mit Unionsrecht vereinbar ist, dem Versicherungsnehmer ein auf Grundlage der Lebensversicherungsrichtlinien eingeräumtes Widerspruchsrecht, über das er nicht ordnungsgemäß belehrt worden war, wegen rechtsmissbräuchlichen Verhaltens zu verwehren. Weiter stellte sich streitentscheidend die Frage, ob die Voraussetzungen für einen Rechtsmissbrauch unter Berücksichtigung der praktischen Wirksamkeit des Unionsrechts allein nach nationalem Recht bestimmt werden dürfen, auch wenn danach ein subjektives Tatbestandsmerkmal nicht vorausgesetzt wird.
c) Es greift keine der vom Gerichtshof der Europäischen Union anerkannten Ausnahmen von der Vorlagepflicht. Insbesondere ist die Beantwortung der entscheidungserheblichen Fragen – die sich der Richtlinie nicht eindeutig entnehmen lässt – in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union nicht erschöpfend geklärt.
aa) Speziell zu den Lebensversicherungsrichtlinien hat der Gerichtshof der Europäischen Union bislang nicht entschieden, ob der Ausübung des danach garantierten Rücktrittsrechts ein rechtsmissbräuchliches Verhalten des Versicherungsnehmers entgegengehalten werden kann, wenn der Versicherungsnehmer nicht (ordnungsgemäß) über dieses Recht belehrt wurde. Auch die Voraussetzungen für die Annahme eines Rechtsmissbrauchs hat der Gerichtshof im speziellen Kontext der Lebensversicherungsrichtlinien nicht geklärt. Diese Fragen werden insbesondere in den Urteilen des Gerichtshofs vom 19. Dezember 2013 (– C-209/12 –, juris – Endress) und vom 19. Dezember 2019 (– C-355/18 u.a. –, juris – Rust-Hackner) nicht beantwortet.
(1) Aussagen zu dem Verlust des Rücktrittsrechts aufgrund eines rechtsmissbräuchlichen Verhaltens des Versicherungsnehmers enthalten die Entscheidungen nicht.
Etwas anderes folgt nicht aus der Feststellung des Gerichtshofs in seinem Urteil vom 19. Dezember 2019, dass Vorteile, die der Versicherungsnehmer aus einem verspäteten Rücktritt ziehen könnte, außer Betracht zu bleiben haben, da ein solcher Rücktritt nicht dazu dienen würde, die Wahlfreiheit des Versicherungsnehmers zu schützen, sondern dazu, ihm eine höhere Rendite zu ermöglichen oder gar auf die Differenz zwischen der effektiven Rendite des Vertrags und dem Satz der Vergütungszinsen zu spekulieren (vgl. EuGH, Urteil vom 19. Dezember 2019 – C-355/18 u.a. –, juris Rn. 120 – Rust-Hackner). Diese Ausführungen stehen nämlich in einem anderen Zusammenhang. Sie beziehen sich auf eine nationale Regelung, nach der im Falle des Rücktritts geleistete Zahlungen zu erstatten und auf die zu erstattenden Beträge Vergütungszinsen zu zahlen sind, letztere aber in drei Jahren verjähren. Es geht demnach um die Rechtsfolgen des Rücktritts und nicht unmittelbar um die Ausübung des Rücktrittsrechts durch den Versicherungsnehmer (vgl. EuGH, Urteil vom 19. Dezember 2019 – C-355/18 u.a. –, juris Rn. 116 – Rust-Hackner). Wenngleich ähnliche Erwägungen auch für die Zulässigkeit eines Verlusts des Rücktrittsrechts wegen rechtsmissbräuchlichen Verhaltens – insbesondere zu einem Zeitpunkt nach vollständiger Erfüllung und Abwicklung des Vertrages – sprechen könnten, hat der Gerichtshof damit aber jedenfalls keine Aussage darüber getroffen, ob ein solcher Verlust mit Unionsrecht vereinbar wäre, wenn der Versicherungsnehmer nicht (ordnungsgemäß) über sein Rücktrittsrecht belehrt wurde, und welche Voraussetzungen für die Annahme eines rechtsmissbräuchlichen Verhaltens erfüllt sein müssten.
(2) Auch die Ausführungen des Gerichtshofs in den genannten Entscheidungen zu den Folgen einer fehlenden oder fehlerhaften Belehrung des Versicherungsnehmers über sein Rücktrittsrecht verhalten sich nicht zu dessen rechtsmissbräuchlicher Ausübung.
(a) So hat der Gerichtshof in seinem Urteil vom 19. Dezember 2013 (– C-209/12 –, juris – Endress) lediglich eine Aussage zu einem Erlöschen des Rücktrittsrechts aufgrund Zeitablaufs bei fehlender Belehrung getroffen. Danach ist eine nationale Regelung, nach der ein Rücktrittsrecht spätestens ein Jahr nach Zahlung der ersten Versicherungsprämie erlischt, wenn der Versicherungsnehmer nicht über das Recht zum Rücktritt belehrt worden ist, unzulässig (vgl. EuGH, Urteil vom 19. Dezember 2013 – C-209/12 –, juris Rn. 26 f., 30, 32 – Endress).
(b) Auch das Urteil des Gerichtshofs vom 19. Dezember 2019 (– C-355/18 u.a. –, juris – Rust-Hackner) befasst sich nicht mit der Zulässigkeit und den Voraussetzungen eines Rechtsmissbrauchseinwands, sondern unter anderem mit dem Beginn der Rücktrittsfrist bei fehlender oder nicht ordnungsgemäßer Belehrung. Danach soll, wenn der Versicherer dem Versicherungsnehmer überhaupt keine Informationen über sein Rücktrittsrecht mitgeteilt hat oder die mitgeteilten Informationen derart fehlerhaft sind, dass dem Versicherer die Möglichkeit genommen wird, sein Rücktrittsrecht unter im Wesentlichen denselben Bedingungen wie bei Mitteilung zutreffender Informationen auszuüben, die Rücktrittsfrist selbst dann nicht zu laufen beginnen, wenn der Versicherungsnehmer auf anderem Wege von seinem Rücktrittsrecht Kenntnis erlangt hat (vgl. EuGH, Urteil vom 19. Dezember 2019 – C-355/18 u.a. –, juris Rn. 90 – Rust-Hackner). Zwar geht der Gerichtshof insoweit davon aus, dass es unverhältnismäßig wäre, es einem Versicherungsnehmer zu ermöglichen, sich von den Verpflichtungen aus einem in gutem Glauben geschlossenen Vertrag zu lösen, wenn ihm durch eine fehlerhafte Belehrung nicht die Möglichkeit genommen wird, sein Rücktrittsrecht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen wie bei zutreffender Belehrung auszuüben (vgl. EuGH, Urteil vom 19. Dezember 2019 – C-355/18 u.a. –, juris Rn. 90 – Rust-Hackner). Selbst wenn man aber diese, ausschließlich den Fristbeginn betreffende Aussagen auf den Verlust des Rücktrittsrechts wegen Rechtsmissbrauchs übertragen oder daraus die Zulässigkeit der Berücksichtigung der Gesichtspunkte von Treu und Glauben im Versicherungsrecht ablesen wollte (siehe etwa OLG Karlsruhe, Beschluss vom 9. Februar 2022 – 12 U 80/21 –, juris Rn. 6 f.), könnte danach allenfalls als geklärt angesehen werden, dass ein solcher Rechtsverlust bei fehlerhafter Belehrung dann in Betracht kommt, wenn der Belehrungsmangel dem Versicherungsnehmer nicht die Möglichkeit genommen hat, sein Rücktrittsrecht unter im Wesentlichen denselben Bedingungen wie bei Mitteilung zutreffender Informationen auszuüben. Auf diesen Aspekt hat sich das Oberlandesgericht zwar bezogen, aber gerade nicht geprüft, ob vorgenannte Voraussetzung auch erfüllt war. Eine hiervon unabhängige Konkretisierung der Voraussetzungen, unter denen im Falle einer fehlerhaften Belehrung die Grundsätze von Treu und Glauben zu einer Beschränkung der Rechte des Versicherungsnehmers führen können, ist der Entscheidung des Gerichtshofs vom 19. Dezember 2019 (– C-355/18 u.a. –, juris – Rust-Hackner) aber nicht zu entnehmen.
(c) Weiter hat der Gerichtshof geklärt, dass der Versicherungsnehmer sein Rücktrittsrecht auch noch nach Kündigung und Erfüllung aller Verpflichtungen aus dem Vertrag ausüben kann, sofern in dem auf den Vertrag anwendbaren Recht nicht geregelt ist, welche rechtlichen Wirkungen es hat, wenn überhaupt keine Informationen über das Rücktrittsrecht mitgeteilt wurden oder die darüber mitgeteilten Informationen fehlerhaft waren (vgl. EuGH, Urteil vom 19. Dezember 2019 – C-355/18 u.a. –, juris Rn. 98 – Rust-Hackner). Auch dem lässt sich keine Aussage über die Zulässigkeit und die Voraussetzungen des Verlusts des Rücktrittsrechts wegen rechtsmissbräuchlichen Verhaltens des Versicherungsnehmers entnehmen. Zwar knüpft die Annahme von Rechtsmissbrauch vorliegend in tatsächlicher Hinsicht unter anderem an den Zeitablauf nach vollständiger Vertragsabwicklung an. Es fehlt aber gerade an einer gesetzlichen Regelung, wie sie dem Urteil des Gerichtshofs vom 10. April 2008 (– C-412/06 –, juris Rn. 49 – Hamilton – zur Richtlinie 85/577/EWG des Rates vom 20. Dezember 1985 betreffend den Verbraucherschutz im Falle von außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen – Haustürgeschäfte-RL –; vgl. auch EuGH, Urteil vom 19. Dezember 2019 – C-355/18 u.a. –, juris Rn. 97 – Rust-Hackner; Urteil vom 19. Dezember 2013 – C-209/12 –, juris Rn. 31 – Endress; siehe auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 23. Mai 2016 – 1 BvR 2230/15 u.a. –, juris Rn. 53) zugrunde lag, so dass die hier entscheidungserheblichen Fragen auch insoweit nicht als geklärt angesehen werden können.
(3) Schließlich lassen sich die streitentscheidenden Fragen auch unter Rückgriff auf die allgemeinen Feststellungen des Gerichtshofs in den genannten Entscheidungen zu den Folgen einer fehlenden oder fehlerhaften Belehrung im Lebensversicherungsrecht nicht eindeutig beantworten.
Im Ausgangspunkt geklärt ist danach zwar, dass die Lebensversicherungsrichtlinien den Fall und die Folgen der fehlenden oder fehlerhaften Belehrung des Versicherungsnehmers über sein Rücktrittsrecht nicht regeln. Deshalb dürfen die Mitgliedstaaten im Einzelnen die Modalitäten der Ausübung des Rücktrittsrechts normieren, wobei diese auch Einschränkungen des Rücktrittsrechts zur Folge haben dürfen (vgl. EuGH, Urteil vom 19. Dezember 2013 – C-209/12 –, juris Rn. 22 f. – Endress; Urteil vom 19. Dezember 2019 – C-355/18 u.a. –, juris Rn. 62 – Rust-Hackner).
Das bedeutet aber nicht, dass damit jede mitgliedstaatliche Ausgestaltung der Ausübung des Rücktrittsrechts und jegliche Einschränkung dieses Rechts zulässig wären. Vielmehr ist bei der Regelung der Modalitäten des Rücktrittsrechts die praktische Wirksamkeit der mit der Richtlinie verfolgten Zwecke zu wahren (vgl. EuGH, Urteil vom 19. Dezember 2013 – C-209/12 –, juris Rn. 22 f. – Endress; Urteil vom 19. Dezember 2019 – C-355/18 u.a. –, juris Rn. 62 – Rust-Hackner; siehe auch Knops, RabelsZ 85 [2021], 505 [524 f.]; Kähler, in: Gsell et al. [Hrsg.], BGB, § 242 Rn. 308 [März 2022]). In diesem Zusammenhang ist insbesondere der besondere Informationszweck der Lebensversicherungsrichtlinien zu beachten, wie er sich aus dem 23. Erwägungsgrund der Dritten Richtlinie Lebensversicherung ergibt (vgl. EuGH, Urteil vom 19. Dezember 2013 – C-209/12 –, juris Rn. 24 f. – Endress; Urteil vom 19. Dezember 2019 – C-355/18 u.a. –, juris Rn. 63 f., 87 – Rust-Hackner). Dort heißt es:
„Im Rahmen eines einheitlichen Versicherungsmarktes wird dem Verbraucher eine grössere und weiter gefächerte Auswahl von Verträgen zur Verfügung stehen. Um diese Vielfalt und den verstärkten Wettbewerb voll zu nutzen, muß er im Besitz der notwendigen Informationen sein, um den seinen Bedürfnissen am ehesten entsprechenden Vertrag auszuwählen. Da die Dauer der Verpflichtungen sehr lang sein kann, ist diese Information für den Verbraucher noch wichtiger.“
Dabei bezwecken die Lebensversicherungsrichtlinien gerade auch, dass mit ihnen sichergestellt werden soll, dass der Versicherungsnehmer insbesondere über sein Rücktrittsrecht zutreffend belehrt wird (vgl. EuGH, Urteil vom 19. Dezember 2019 – C-355/18 u.a. –, juris Rn. 71, 87 – Rust-Hackner). Mit dem Rücktrittsrecht wiederum soll dem Versicherungsnehmer ermöglicht werden, den seinen Bedürfnissen am ehesten entsprechenden Vertrag auszuwählen; das Rücktrittsrecht sichert insoweit die Wahlfreiheit des Versicherungsnehmers ab (vgl. EuGH, Urteil vom 19. Dezember 2019 – C-355/18 u.a. –, juris Rn. 101 f. – Rust-Hackner). Weiter hat der Gerichtshof ausgeführt, dass sich der Versicherungsnehmer gegenüber dem Versicherer in einer schwachen Position befinde, da Versicherungsverträge rechtlich komplexe Finanzprodukte seien, die je nach anbietendem Versicherer große Unterschiede aufwiesen und über einen potentiell sehr langen Zeitraum erhebliche finanzielle Verpflichtungen mit sich bringen könnten (vgl. EuGH, Urteil vom 19. Dezember 2013 – C-209/12 –, juris Rn. 29 – Endress). Deshalb soll sich der Versicherer nicht mit Erfolg auf Gründe der Rechtssicherheit berufen können, um einer Situation abzuhelfen, die er dadurch selbst herbeigeführt hat, dass er seiner unionsrechtlichen Obliegenheit zur Mitteilung bestimmter Informationen nicht nachgekommen ist (vgl. EuGH, Urteil vom 19. Dezember 2013 – C-209/12 –, juris Rn. 30 – Endress; Urteil vom 19. Dezember 2019 – C-355/18 u.a. –, juris Rn. 69, 109 – Rust-Hackner). Auch kann sich der Versicherer im Falle einer (fehlerhaften) Belehrung nicht auf eine anderweitige Kenntniserlangung des Versicherungsnehmers berufen, da er anderenfalls nicht ausreichend dazu motiviert würde, seiner Verpflichtung zur zutreffenden Belehrung nachzukommen (vgl. EuGH, Urteil vom 19. Dezember 2019 – C-355/18 u.a. –, juris Rn. 89 – Rust-Hackner).
Auf Grundlage vorgenannter Interessenlage und des Informationszwecks hat der Gerichtshof – wie bereits ausgeführt – in den genannten Entscheidungen geklärt, dass die praktische Wirksamkeit der Lebensversicherungsrichtlinien nicht gewahrt ist, wenn ein Rücktrittsrecht trotz fehlender Belehrung spätestens ein Jahr nach Zahlung der ersten Versicherungsprämie erlischt und wenn die Rücktrittsfrist zu laufen beginnt, obwohl der Versicherer dem Versicherungsnehmer überhaupt keine Informationen über sein Rücktrittsrecht mitgeteilt hat oder die mitgeteilten Informationen derart fehlerhaft sind, dass dem Versicherungsnehmer die Möglichkeit genommen wird, sein Rücktrittsrecht unter im Wesentlichen denselben Bedingungen auszuüben wie bei Mitteilung zutreffender Informationen.
Ob die praktische Wirksamkeit der Lebensversicherungsrichtlinien unter Berücksichtigung des Informationszwecks und vorgenannter Interessenlage demgegenüber noch gewahrt ist, wenn der Versicherungsnehmer sein Rücktrittsrecht trotz fehlerhafter Belehrung wegen rechtsmissbräuchlichen Verhaltens verlieren kann, bleibt in den Entscheidungen des Gerichtshofs zu den Lebensversicherungsrichtlinien ebenso offen wie die Voraussetzungen, die an einen solchen Rechtsmissbrauch zu stellen wären, um die praktische Wirksamkeit noch als gewahrt anzusehen.
bb) Der Gerichtshof der Europäischen Union hat die streitentscheidenden Fragen auch in seinen Entscheidungen außerhalb des Lebensversicherungsrechts, in denen sich vergleichbare Fragen gestellt haben, nicht erschöpfend beantwortet. Zwar existiert eine umfangreiche Rechtsprechung des Gerichtshofs zum Grundsatz des Rechtsmissbrauchs. Die sich hier konkret stellenden Fragen sind indes nicht hinreichend geklärt. Jedenfalls erscheint im Hinblick auf das Urteil des Gerichtshofs vom 9. September 2021 (– C-33/20 u.a. –, juris – Volkswagen Bank) eine Fortentwicklung der Rechtsprechung nicht nur als entfernte Möglichkeit.
(1) Im Ausgangspunkt geklärt ist, dass auch im Unionsrecht der Grundsatz des Rechtsmissbrauchs Anwendung findet. So ist nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs eine betrügerische oder missbräuchliche Berufung auf das Unionsrecht nicht erlaubt (vgl. EuGH, Urteil vom 21. Juni 1988 – 39/86 –, juris Rn. 43 – Lair; Urteil vom 2. Mai 1996 – C-206/94 –, juris Rn. 24 ff. – Paletta; Urteil vom 12. Mai 1998 – C-367/96 –, juris Rn. 20 ff. – Kefalas; Urteil vom 23. März 2000 – C-373/97 –, juris – Diamantis; Urteil vom 21. Juli 2011 – C-186/10 –, juris Rn. 25 – Oguz; siehe auch BGH, EuGH-Vorlage vom 31. Januar 2022 – IX ZR 113/21 u.a. –, juris Rn. 58). Dies ist inzwischen als zwingender allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts anerkannt, und zwar unabhängig davon, ob die betreffenden Rechte und Vorteile ihre Grundlage in den Verträgen, in einer Verordnung oder in einer Richtlinie haben (siehe nur EuGH, Urteil vom 26. Februar 2019 – C-116/16 u.a. –, juris Rn. 70 ff., 75 – T Danmark; Urteil vom 9. September 2021 – C-33/20 u.a. –, juris Rn. 121 – Volkswagen Bank; Knops, RabelsZ 85 [2021], 505 [527]). Deshalb ist es etwa nach den Urteilen vom 23. März 2000 (– C-373/97 –, juris – Diamantis) und vom 12. Mai 1998 (– C-367/96 –, juris Rn. 20 ff. – Kefalas) grundsätzlich zulässig, dass die nationalen Gerichte eine Bestimmung des nationalen Rechts anwenden, nach der sie prüfen dürfen, ob ein Recht aus einer unionsrechtlichen Bestimmung missbräuchlich ausgeübt wird.
(2) Gerade die hier streitentscheidenden Fragen, ob ein dem Versicherungsnehmer eingeräumtes Rücktrittsrecht trotz fehlender oder fehlerhafter Belehrung wegen Rechtsmissbrauchs erlöschen kann und welche Kriterien für die Annahme eines Rechtsmissbrauchs erfüllt sein müssen, können aber spätestens seit dem Urteil des Gerichtshofs vom 9. September 2021 (– C-33/20 u.a. –, juris – Volkswagen Bank) nicht (mehr) als erschöpfend beantwortet angesehen werden.
(a) So ist hinsichtlich der Frage, welche Kriterien für die Annahme eines Rechtsmissbrauchs erfüllt sein müssen, unklar, ob hierfür das Vorliegen objektiver Tatbestandsmerkmale zumindest dann ausreicht, wenn sich dies aus einer auf den Fall anwendbaren nationalen Bestimmung ergibt (so wohl Kähler, in: Gsell et al. [Hrsg.], BGB, § 242 Rn. 311 ff. [März 2022]; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 9. Februar 2022 – 12 U 80/21 –, juris Rn. 4 ff.), oder ob stets auch ein subjektives Element erfüllt sein muss, d.h. ein nationales Rechtsmissbrauchsverbot nur insoweit angewendet werden darf, als es sich mit den unionsrechtlichen Kriterien deckt, die stets ein subjektives Element umfassen (so etwa Schwintowski, VuR 2022, 83 [88]; Knops, RabelsZ 85 [2021], 505 [507, 515, 518 ff., 528] m.w.N.; Ebers, VuR 2017, 47 [48]; OLG Rostock, Urteil vom 8. März 2022 – 4 U 51/21 –, juris Rn. 116 f.).
Zunächst ist der Gerichtshof davon ausgegangen, dass die nationalen Gerichte in den Grenzen der praktischen Wirksamkeit und einheitlichen Anwendung des Gemeinschaftsrechts befugt sind, das missbräuchliche Verhalten des Betroffenen auf der Grundlage objektiver Kriterien in Rechnung zu stellen, um ihm gegebenenfalls die Berufung auf die geltend gemachte Bestimmung des Gemeinschaftsrechts zu verwehren (vgl. EuGH, Urteil vom 21. Juni 1988 – 39/86 –, juris Rn. 43 – Lair; Urteil vom 2. Mai 1996 – C-206/94 –, juris Rn. 25 – Paletta; Urteil vom 12. Mai 1998 – C-367/96 –, juris Rn. 20 ff. – Kefalas; Urteil vom 23. März 2000 – C-373/97 –, juris Rn. 34 – Diamantis; Urteil vom 21. Juli 2011 – C-186/10 –, juris Rn. 25 – Oguz).
Soweit der Gerichtshof für die Feststellung einer missbräuchlichen Praxis darüber hinaus auch das Vorliegen eines subjektiven Elements verlangte, bezog sich dies ursprünglich ausdrücklich nur auf die spezielle Frage, wann mit Unionsrecht unvereinbare Praktiken von „Wirtschaftsteilnehmern“ vorliegen (vgl. EuGH, Urteil vom 14. Dezember 2000 – C-110/99 –, juris Rn. 51-54 – Emsland-Stärke; Urteil vom 21. Februar 2006 – C-255/02 –, juris Rn. 68 ff. – Halifax; Urteil vom 6. April 2006 – C-456/04 –, juris Rn. 20 ff. – Agip Petroli; Urteil vom 12. September 2006 – C-196/04 –, juris Rn. 64 – Cadbury Schweppes; Urteil vom 13. März 2014 – C-155/13 –, juris Rn. 31, 33 – Sices; vgl. dazu auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 2. Februar 2015 – 2 BvR 2437/14 –, juris Rn. 45). Dabei muss für das subjektive Element die Absicht erkennbar sein, sich einen gemeinschaftsrechtlich vorgesehenen Vorteil dadurch zu verschaffen, dass die entsprechenden Voraussetzungen willkürlich geschaffen werden bzw. es muss aus einer Reihe objektiver Anhaltspunkte ersichtlich sein, dass im Wesentlichen die Erlangung eines ungerechtfertigten Vorteils bezweckt wird; demgegenüber ist das Missbrauchsverbot nicht relevant, wenn das fragliche Verhalten eine andere Erklärung haben kann als nur die Erlangung eines Vorteils (vgl. EuGH, Urteil vom 14. Dezember 2000 – C-110/99 –, juris Rn. 53 – Emsland-Stärke; Urteil vom 21. Februar 2006 – C-255/02 –, juris Rn. 75 – Halifax; Urteil vom 6. April 2006 – C-456/04 –, juris Rn. 23 – Agip Petroli; Urteil vom 13. März 2014 – C-155/13 –, juris Rn. 33 – Sices).
Mit seinem Urteil vom 9. September 2021 zur Auslegung der – hier nicht unmittelbar einschlägigen – Verbraucherkreditrichtlinie hat der Gerichtshof nun aber ausdrücklich auch für Verbraucher entschieden, dass die Feststellung eines Missbrauchs nach unionsrechtlichen Grundsätzen neben einer Gesamtheit objektiver Umstände auch ein subjektives Element voraussetzt (vgl. EuGH, Urteil vom 9. September 2021 – C-33/20 u.a. –, juris Rn. 122 – Volkswagen Bank; siehe auch OLG Rostock, Urteil vom 8. März 2022 – 4 U 51/21 –, juris Rn. 117).
Da sich die entsprechenden Ausführungen des Gerichtshofs nicht spezifisch auf die Verbraucherkreditrichtlinie beziehen, sondern auf den allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts zum Rechtsmissbrauch, ist es zumindest zweifelhaft, ob einem Verbraucher in anderen Rechtsgebieten die Berufung auf durch oder auf Grund von Unionsrecht gewährte Rechte unter Anwendung einer nationalen Regelung auch ohne das Vorliegen eines subjektiven Elements wegen Rechtsmissbrauchs verwehrt werden kann (so etwa OLG Karlsruhe, Beschluss vom 9. Februar 2022 – 12 U 80/21 –, juris Rn. 13; dagegen etwa Ebers, VuR 2022, 203 [207]). Insoweit erscheint eine Fortentwicklung der Rechtsprechung des Gerichtshofs zumindest als nicht nur entfernte Möglichkeit.
(b) Weiter ist seit dem Urteil des Gerichtshofs vom 9. September 2021 (– C-33/20 u.a. –, juris – Volkswagen Bank) auch unklar, ob ein dem Versicherungsnehmer unionsrechtlich gewährleistetes Rücktrittsrecht überhaupt wegen eines rechtsmissbräuchlichen Verhaltens erlöschen kann, wenn der Versicherungsnehmer nicht (ordnungsgemäß) über sein Rücktrittsrecht belehrt wurde (vgl. Schwintowski, VuR 2022, 83 [89]; Knops, RabelsZ 85 [2021], 505 [534 ff.]; OLG Rostock, Urteil vom 8. März 2022 – 4 U 51/21 –, juris Rn. 118 f. und 183 zur Verwirkung; a.A. Kähler, in: Gsell et al. [Hrsg.], BGB, § 242 Rn. 316 [März 2022], 1765.1 ff.; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 9. Februar 2022 – 12 U 80/21 –, juris Rn. 10; siehe insgesamt dazu auch BGH, EuGH-Vorlage vom 31. Januar 2022 – IX ZR 113/21 u.a. –, juris Rn. 68). So soll im Anwendungsbereich der Verbraucherkreditrichtlinie der Kreditgeber im Fall der Ausübung des Widerrufsrechts durch den Verbraucher keinen Rechtsmissbrauch annehmen dürfen (und sich auch nicht auf Verwirkung berufen können), wenn eine der in der Verbraucherkreditrichtlinie vorgesehenen zwingenden Angaben weder im Kreditvertrag enthalten noch nachträglich ordnungsgemäß mitgeteilt worden ist, und dies unabhängig davon, ob der Verbraucher von seinem Widerrufsrecht Kenntnis hatte (vgl. EuGH, Urteil vom 9. September 2021 – C-33/20 u.a. –, juris Leitsatz 7, Rn. 119 ff. – Volkswagen Bank). Zwar führt der Gerichtshof in diesem Zusammenhang aus, dass der Unternehmer dem Verbraucher bei unzureichender Belehrung auch dann keinen Missbrauch seines Widerrufsrechts vorwerfen könne, wenn zwischen Vertragsschluss und Widerruf erhebliche Zeit vergangen ist (vgl. EuGH, Urteil vom 9. September 2021 – C-33/20 u.a. –, juris Rn. 126 – Volkswagen Bank). Eine Beschränkung des Ausschlusses des Rechtsmissbrauchseinwands auf solche Fälle eines „bloßen Zeitablaufs“ ist den Ausführungen – jedenfalls in der für die Annahme eines acte éclairé erforderlichen Klarheit – indes nicht zu entnehmen (siehe auch Ebers, VuR 2022, 203 [205]; anders wohl OLG Karlsruhe, Beschluss vom 9. Februar 2022 – 12 U 80/21 –, juris Rn. 10; vgl. dazu auch BGH, EuGH-Vorlage vom 31. Januar 2022 – IX ZR 113/21 u.a. –, juris Rn. 69).
Dass ein Ausschluss des Rechtsmissbrauchseinwands bei unzureichender Belehrung auch im Anwendungsbereich der Lebensversicherungsrichtlinien gelten könnte, erscheint nicht nur als entfernte Möglichkeit (so auch Schwintowski, VuR 2022, 83 [89]; Knops, RabelsZ 85 [2021], 505 [534 ff.]; Ebers, VuR 2022, 203 [205 ff.]; OLG Rostock, Urteil vom 8. März 2022 – 4 U 51/21 –, juris Rn. 118; LG Erfurt, EuGH-Vorlage vom 30. Dezember 2021 – 8 O 1519/20 –, juris Rn. 40 f.; a.A. dagegen OLG Karlsruhe, Beschluss vom 9. Februar 2022 – 12 U 80/21 –, juris Rn. 9 ff.). Zwar trifft es zu, dass sich Lebensversicherungs- und Verbraucherkreditverträge in wesentlicher Hinsicht voneinander unterscheiden. Allerdings hat der Gerichtshof die Unzulässigkeit des Rechtsmissbrauchseinwands zur Wahrung der praktischen Wirksamkeit des Unionsrechts gerade aus solchen Zielen der Verbraucherkreditrichtlinie abgeleitet, die den Zielen vergleichbar sind, die nach den Feststellungen des Gerichtshofs die Lebensversicherungsrichtlinien hinsichtlich des Rücktrittsrechts verfolgen (siehe auch Schwintowski, VuR 2022, 83 [89]; Ebers, VuR 2022, 203 [206 f.]).
So soll das Widerrufsrecht im Verbraucherkreditrecht dem Zweck dienen, es dem Verbraucher zu ermöglichen, den seinen Bedürfnissen am ehesten entsprechenden Vertrag auszuwählen (vgl. EuGH, Urteil vom 9. September 2021 – C-33/20 u.a. –, juris Rn. 123 – Volkswagen Bank). Weiter soll durch die Richtlinie sichergestellt werden, dass der Verbraucher alle Informationen erhält, die erforderlich sind, um den Umfang seiner vertraglichen Verpflichtungen beurteilen zu können (vgl. EuGH, Urteil vom 9. September 2021 – C-33/20 u.a. –, juris Rn. 124 – Volkswagen Bank). Schließlich dient die Koppelung von Fristbeginn und der Information des Verbrauchers dem Zweck, den Kreditgeber, der die vorgesehenen Informationen nicht erteilt, zu bestrafen (vgl. EuGH, Urteil vom 9. September 2021 – C-33/20 u.a. –, juris Rn. 124 – Volkswagen Bank). Insoweit sollen die in den Unionsrichtlinien im Bereich des Verbraucherschutzes vorgesehenen Sanktionen den Gewerbetreibenden davon abschrecken, gegen die ihm nach den Bestimmungen dieser Richtlinien obliegenden Pflichten gegenüber dem Verbraucher zu verstoßen (vgl. EuGH, Urteil vom 9. September 2021 – C-33/20 u.a. –, juris Rn. 125 – Volkswagen Bank).
Wie bereits ausgeführt, dienen auch die Lebensversicherungsrichtlinien Informationszwecken und dabei insbesondere dem Ziel, es dem Versicherungsnehmer zu ermöglichen, den seinen Bedürfnissen am ehesten entsprechenden Vertrag auszuwählen, wobei diese Wahlfreiheit gerade durch das Rücktrittsrecht abgesichert wird (vgl. EuGH, Urteil vom 19. Dezember 2019 – C-355/18 u.a. –, juris Rn. 101 f. – Rust-Hackner). Insoweit hat der Gerichtshof in dem Urteil vom 9. September 2021 (– C-33/20 u.a. –, juris Rn. 123 – Volkswagen Bank) sogar ausdrücklich auf seine Feststellungen in dem die Lebensversicherungsrichtlinien betreffenden Urteil vom 19. Dezember 2019 (– C-355/18 u.a. –, juris – Rust-Hackner) verwiesen. Zwar hat der Gerichtshof hinsichtlich der Lebensversicherungsrichtlinien noch nicht ausdrücklich einen Sanktionszweck benannt (darauf bezieht sich OLG Karlsruhe, Beschluss vom 9. Februar 2022 – 12 U 80/21 –, juris Rn. 12; Schubert, in: MüKo, BGB, 9. Aufl. 2022, § 242 Rn. 507). Aber er hat auch hier bereits darauf hingewiesen, dass sich der Versicherer nicht mit Erfolg auf Gründe der Rechtssicherheit berufen können soll, um einer Situation abzuhelfen, die er dadurch selbst herbeigeführt hat, dass er seiner unionsrechtlichen Obliegenheit zur Mitteilung bestimmter Informationen nicht nachgekommen ist (vgl. EuGH, Urteil vom 19. Dezember 2013 – C-209/12 –, juris Rn. 30 – Endress; Urteil vom 19. Dezember 2019 – C-355/18 u.a. –, juris Rn. 69, 109 – Rust-Hackner). Außerdem hat der Gerichtshof festgestellt, der Versicherer könne sich im Falle einer fehlenden oder fehlerhaften Belehrung nicht auf eine anderweitige Kenntniserlangung des Versicherungsnehmers berufen, da er anderenfalls nicht ausreichend dazu motiviert würde, seiner Verpflichtung zur zutreffenden Belehrung nachzukommen (vgl. EuGH, Urteil vom 19. Dezember 2019 – C-355/18 u.a. –, juris Rn. 89 – Rust-Hackner). Hinzu kommt, dass der Gerichtshof die Ausführungen zum Sanktionsaspekt in seinem Urteil vom 9. September 2021 nicht speziell auf die Verbraucherkreditrichtlinie bezogen hat, sondern insoweit allgemein die „in den Unionsrichtlinien im Bereich des Verbraucherschutzes vorgesehenen Sanktionen“ in Bezug genommen hat (EuGH, Urteil vom 9. September 2021 – C-33/20 u.a. –, juris Rn. 125 – Volkswagen Bank; siehe auch Schwintowski, VuR 2022, 83 [89]; OLG Rostock, Urteil vom 8. März 2022 – 4 U 51/21 –, juris Rn. 118).
Danach erscheint es zumindest als nicht bloß entfernte Möglichkeit, dass der Gerichtshof seine diesbezüglichen Feststellungen von der Verbraucherkreditrichtlinie auf die Lebensversicherungsrichtlinien übertragen könnte.
Schließlich mag es zutreffen, dass durch die Entscheidung vom 9. September 2021 (– C-33/20 u.a. –, juris – Volkswagen Bank) nicht abschließend geklärt ist, ob die Berufung auf ein rechtsmissbräuchliches Verhalten des Verbrauchers im Falle einer nicht ordnungsgemäßen Belehrung stets ausgeschlossen ist oder unter bestimmten, zu einem bloßen Zeitmoment (siehe hierzu EuGH, Urteil vom 9. September 2021 – C-33/20 u.a. –, juris Rn. 126 – Volkswagen Bank) hinzutretenden Umständen oder etwa nach vollständiger, beidseitiger Vertragserfüllung nicht doch zulässig sein könnte (vgl. BGH, EuGH-Vorlage vom 31. Januar 2022 – IX ZR 113/21 u.a. –, juris Rn. 57, 63 ff.). Dies wäre dann zwar bezogen auf die Lebensversicherungsrichtlinien ebenso denkbar, ist durch den Gerichtshof aber gerade nicht beantwortet.
2. Vor diesem Hintergrund hat das Oberlandesgericht den ihm zustehenden Beurteilungsrahmen überschritten und die Vorlagepflicht offensichtlich unhaltbar gehandhabt, da es keine tragfähige Begründung dafür gegeben hat, warum es von einer Vorlage abgesehen hat.
a) Zwar kann eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 Satz 1 LV nicht bereits aus dem Umstand hergeleitet werden, dass dem Oberlandesgericht das Vorliegen voneinander abweichender Gerichtsentscheidungen zu den hier streitentscheidenden Fragen des Unionsrechts zur Kenntnis gebracht wurde (vgl. EuGH, Urteil vom 6. Oktober 2021 – C-561/19 –, juris Rn. 49 – Consorzio Italian Management – zu den daraus folgenden besonderen Sorgfaltspflichten; BVerfG, Kammerbeschluss vom 24. Mai 2022 – 1 BvR 2342/17 –, juris Rn. 17 zu Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG). Denn Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs, des Bundesgerichtshofs oder divergierende Entscheidungen oder Vorlagebeschlüsse anderer Gerichte, die erst nach dem angegriffenen Beschluss ergangen sind, können einen Verstoß des Gerichts gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 LV nicht begründen (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 6. Dezember 2006 – 1 BvR 2085/03 –, juris Rn. 57; Kammerbeschluss vom 24. Mai 2022 – 1 BvR 2342/17 –, juris Rn. 18 zu Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) und auch die Anforderungen an die Begründung des Absehens von einer Vorlage nicht verschärfen. Die Entscheidungen des Oberlandesgerichts Rostock (Urteil vom 8. März 2022 – 4 U 51/21 – juris Rn. 116-118; Hinweisbeschluss vom 9. November 2021 – 4 U 51/21 –, juris Rn. 6-9) und des Landgerichts Erfurt (Vorlagebeschluss vom 30. Dezember 2021 – 8 O 1519/20 –, juris), wonach infolge des Urteils des Gerichtshofs vom 9. September 2021 (– C-33/20 u.a. –, juris – Volkswagen Bank) an der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur – anhand objektiver Kriterien zu bestimmenden – Rechtsmissbräuchlichkeit eines Widerspruchs im Versicherungsvertragsrecht nicht mehr festgehalten werden könne, sind nämlich erst nach dem Berufungszurückweisungsbeschluss ergangen bzw. wurden dem Oberlandesgericht Koblenz erst im Anhörungsrügeverfahren, und damit nach der Entscheidung in der Sache, vorgelegt.
b) Allerdings ist die Begründung des Oberlandesgerichts in der angegriffenen Entscheidung – auch unter Einbeziehung der Ausführungen in dem Anhörungsrügebeschluss vom 9. Februar 2022 – nicht hinreichend tragfähig, um den Verzicht auf die Durchführung eines Vorabentscheidungsverfahrens noch als vertretbar anzusehen.
aa) Das Absehen des Oberlandesgerichts von einer Vorlage kann zunächst nicht deswegen als vertretbar angesehen werden, weil das Bundesverfassungsgericht in seinem Kammerbeschluss vom 2. Februar 2015 die Annahme des Bundesgerichtshofs, es verstoße gegen Treu und Glauben, sich nach jahrelanger Durchführung des Vertrags auf dessen angebliche Unwirksamkeit zu berufen, unter dem Blickwinkel des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht beanstandet hat (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 2. Februar 2015 – 2 BvR 2437/14 –, juris Rn. 42 ff.). Zwar hat das Bundesverfassungsgericht die Erwägung des Bundesgerichtshofs, die Maßstäbe für eine Berücksichtigung der Gesichtspunkte von Treu und Glauben seien in der Rechtsprechung geklärt und auch ein Verstoß gegen den Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatz liege nicht vor (vgl. BGH, Urteil vom 16. Juli 2014 – IV ZR 73/13 –, juris Rn. 32 ff.; vgl. zur stRspr des BGH auch: Beschluss vom 8. September 2021 – IV ZR 133/20 –, juris Rn. 17; Beschluss vom 3. Juni 2020 – IV ZB 9/19 –, juris Rn. 14; Beschluss vom 27. September 2017 – IV ZR 506/15 –, juris Rn. 15; Beschlüsse vom 27. Januar und 22. März 2016 – IV ZR 130/15 –, juris), als vertretbar angesehen (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 2. Februar 2015 – 2 BvR 2437/14 –, juris Rn. 43).
Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht einen erkennbaren Widerspruch der Auffassung des Bundesgerichtshofs, dass ein missbräuchliches Verhalten allein auf der Grundlage objektiver Kriterien festgestellt werden könne und unredliche Absichten oder ein Verschulden insoweit nicht erforderlich seien, zur Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union gerade deswegen verneint, weil der Gerichtshof ein subjektives Element nur für die Prüfung verlange, wann mit Unionsrecht unvereinbare missbräuchliche Praktiken von Wirtschaftsteilnehmern vorlägen, worum es vorliegend nicht gehe (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 2. Februar 2015 – 2 BvR 2437/14 –, juris Rn. 45). Gerade eine solche Begrenzung des Erfordernisses des subjektiven Tatbestandsmerkmals auf die Praktiken von Wirtschaftsteilnehmern durch den Gerichtshof lässt sich aber spätestens seit dem Urteil vom 9. September 2021 (– C-33/20 u.a. –, juris – Volkswagen Bank) nicht mehr vertreten (siehe auch BGH, EuGH-Vorlage vom 31. Januar 2022 – IX ZR 113/21 u.a. –, juris Rn. 60; OLG Rostock, Urteil vom 8. März 2022 – 4 U 51/21 –, juris Rn. 117; Knops, RabelsZ 85 [2021], 505 [518 ff.]). Die Feststellung des Gerichtshofs, wonach ein rechtsmissbräuchliches Verhalten das Vorliegen eines objektiven und eines subjektiven Elements voraussetzt, bezieht sich gerade auf die Prüfung, ob einem Verbraucher – hier im Verbraucherkreditrecht – die Berufung auf ein ihm garantiertes Widerrufsrecht wegen Rechtsmissbrauchs verwehrt werden darf (vgl. EuGH, Urteil vom 9. September 2021 – C-33/20 u.a. –, juris Rn. 119 ff., 122 – Volkswagen Bank).
Außerdem betrifft der Kammerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 2. Februar 2015 eine Konstellation, in der der Versicherungsnehmer vom Versicherer dem geltenden nationalen Recht entsprechend ordnungsgemäß belehrt worden war (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 2. Februar 2015 – 2 BvR 2437/14 –, juris Rn. 47). Ausdrücklich unter dieser Prämisse hat das Bundesverfassungsgericht die Annahme des Bundesgerichtshofs, der Zweck der Dritten Richtlinie Lebensversicherung, eine genaue Belehrung des Versicherungsnehmers über sein Rücktrittsrecht vor Abschluss des Vertrages sicherzustellen, werde nicht berührt, wenn einem Versicherungsnehmer nach jahrelanger Durchführung des Vertrags die Geltendmachung eines bereicherungsrechtlichen Anspruchs unter Berufung auf ein gemeinschaftsrechtswidriges Zustandekommen des Vertrags verwehrt werde, als verständlich und nicht offensichtlich unhaltbar angesehen (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 2. Februar 2015 – 2 BvR 2437/14 –, juris Rn. 47). Darüber, ob diese Annahme auch im Falle einer fehlenden (ordnungsgemäßen) Belehrung über das Rücktrittsrecht noch als vertretbar angesehen werden kann, hat das Bundesverfassungsgericht dagegen keine Aussage getroffen. Unter Berücksichtigung der Feststellungen des Gerichtshofs in seinem Urteil vom 9. September 2021, wonach der Kreditgeber im Anwendungsbereich der Verbraucherkreditrichtlinie im Hinblick auf die – mit denen der Lebensversicherungsrichtlinien vergleichbaren – Zwecke der Richtlinie im Falle der Ausübung des Widerrufsrechts durch den Verbraucher keinen Rechtsmissbrauch annehmen dürfe, wenn dieser nicht ordnungsgemäß belehrt wurde (vgl. EuGH, Urteil vom 9. September 2021 – C-33/20 u.a. –, juris Rn. 119 ff. – Volkswagen Bank), können die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts auch nicht (mehr) ohne weiteres auf Fälle einer fehlenden oder unzureichenden Belehrung übertragen werden.
bb) Auch der Verweis des Oberlandesgerichts auf die ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Zulässigkeit und zu den Voraussetzungen des Einwands des Rechtsmissbrauchs
im Lebensversicherungsrecht ersetzt nicht die erforderliche nachvollziehbare Begründung für ein Absehen von einer Vorlage. Dies folgt schon daraus, dass diese Rechtsprechung
(siehe etwa BGH, Beschluss vom 8. September 2021 – IV ZR 133/20 –, juris Rn. 17; Beschluss vom 3. Juni 2020 – IV ZB
9/19 –, juris Rn. 14; Beschluss vom 27. September 2017 – IV ZR 506/15 –, juris Rn. 15; Beschlüsse vom 27. Januar und 22. März 2016 – IV ZR 130/15 –, juris) vor dem Urteil des
Gerichtshofs vom 9. September 2021 (– C-33/20 u.a. –, juris – Volkswagen Bank) ergangen ist und sich daher nicht mit der Frage auseinandersetzt, ob es infolge dieser Entscheidung
unionsrechtlich geboten ist, auch im Anwendungsbereich der Lebensversicherungsrichtlinien für die Annahme eines Rechtsmissbrauchs neben einem objektiven auch ein subjektives
Tatbestandselement zu verlangen, und dem Versicherer im Falle einer fehlerhaften Belehrung über das Widerspruchsrecht die Berufung auf den Einwand des Rechtsmissbrauchs zu
verwehren. Soweit die Beklagte des Ausgangsverfahrens schließlich darauf verweist, dass der Bundesgerichtshof auch nach dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 9.
September 2021 (– C-33/20 u.a. –, juris – Volkswagen Bank) weiterhin an seiner Rechtsprechung festhalte, ergibt sich aus der vorgelegten Entscheidung (BGH, Beschluss vom 17.
November 2021 – IV ZR 38/21 –, n.v.) schon nicht, ob sich der Bundesgerichtshof darin mit der jüngsten Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union auseinandergesetzt
hat.
cc) Bereits deswegen begründet das Oberlandesgericht das Absehen von einer Vorlage auch nicht dadurch nachvollziehbar, dass es ausführlich eine Kommentierung zu § 242 BGB (Schubert, in: MüKo, BGB, 8. Aufl. 2019, § 242 Rn. 70 ff.) zitiert. Diese Fundstelle stammt aus dem Jahr 2019 und setzt sich ebenfalls nicht mit dem Urteil des Gerichtshofs vom 9. September 2021 (– C-33/20 u.a. –, juris – Volkswagen Bank) auseinander. Außerdem wird auch in der zitierten Kommentierung erläutert, dass die volle Wirksamkeit des Unionsrechts durch die Anwendung eines nationalen Rechtsmissbrauchseinwands nicht beeinträchtigt werden dürfe, insbesondere dürften die mit dem Unionsrecht verfolgten Zwecke nicht vereitelt werden. Ob diese Anforderung bezogen auf die Lebensversicherungsrichtlinien gewahrt ist, ergibt sich daraus allerdings nicht.
dd) Soweit das Oberlandesgericht weiter ausführt, das Urteil des Gerichtshofs vom 9. September 2021 (– C-33/20 u.a. –, juris – Volkswagen Bank) sei auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar, ist auch dies – zumindest mit der angeführten Begründung – nicht hinreichend tragfähig.
Das Oberlandesgericht verweist insoweit darauf, dass die Entscheidung zu Verbraucherkrediten ergangen sei und nicht zum Recht der Lebensversicherungen. Dies wird im Anhörungsrügebeschluss vom 9. Februar 2022 dahingehend erläutert, die Lebensversicherungsrichtlinien seien denen des Verbraucherkreditrechts nicht gleichzustellen, da es sich um vollständig verschiedene Vertragstypen handele mit unterschiedlicher Vertragsgestaltung und Zielsetzung. Auch die erforderlichen Verbraucherinformationen, die Belehrung zum Vertragswiderspruch, dessen Voraussetzungen und die Folgen einer Vertragsrückabwicklung unterschieden sich.
Dadurch wird das Absehen von der Durchführung eines Vorabentscheidungsverfahrens aber bereits deswegen nicht nachvollziehbar begründet, weil die streitentscheidenden Fragen in der zu den Lebensversicherungsrichtlinien ergangenen Rechtsprechung des Gerichtshofs gerade nicht abschließend geklärt sind. Stützt sich die Annahme des Oberlandesgerichts, die Rechtslage sei geklärt, insoweit aber – stillschweigend, denn das Oberlandesgericht nennt außer den Urteilen vom 9. September 2021 (– C-33/20 u.a. –, juris – Volkswagen Bank) und vom 19. Dezember 2019 (– C-355/18 u.a. –, juris – Rust-Hackner) keine einzige Entscheidung des Gerichtshofs – auf Rechtsprechung des Gerichtshofs aus anderen Rechtsgebieten, ist nicht nachvollziehbar, warum die Entscheidung vom 9. September 2021 (– C-33/20 u.a. –, juris – Volkswagen Bank) gänzlich außer Betracht zu bleiben hätte. Dies ist auch deswegen nicht verständlich, weil die Zwecke der Lebensversicherungsrichtlinien und der Verbraucherkreditrichtlinie – wie bereits ausgeführt – wesentliche Gemeinsamkeiten aufweisen. Gerade auf diese Zwecke kommt es aber für die entscheidende Beurteilung an, ob infolge der mit der nationalen Anwendung des Rechtsmissbrauchseinwands verbundenen Einschränkungen des Rücktrittsrechts die praktische Wirksamkeit der Richtlinie noch gewahrt ist (vgl. EuGH, Urteil vom 19. Dezember 2013 – C-209/12 –, juris Rn. 22 f. – Endress; Urteil vom 19. Dezember 2019 – C-355/18 u.a. –, juris Rn. 62 – Rust-Hackner; siehe auch Knops, RabelsZ 85 [2021], 505 [525]). Dass das Oberlandesgericht auf die Gemeinsamkeiten der Zweckbestimmungen der unterschiedlichen Vertragslösungsrechte nicht eingegangen ist, erscheint auch deshalb nicht nachvollziehbar, da der Gerichtshof in seinem Urteil vom 9. September 2021 (– C-33/20 u.a. –, juris – Volkswagen Bank) selbst eine solche Parallele gezogen hat, indem er auf seine Feststellungen zu den Zielsetzungen der Lebensversicherungsrichtlinien in dem Urteil vom 19. Dezember 2019 (– C-355/18 u.a. –, juris – Rust-Hackner) verwiesen hat (vgl. EuGH, Urteil vom 9. September 2021 – C-33/20 u.a. –, juris Rn. 123 – Volkswagen Bank). Vor diesem Hintergrund geben die Ausführungen des Oberlandesgerichts zu den Unterschieden der Vertragsgestaltungen von Lebensversicherungs- und Verbraucherkreditverträgen keine tragfähige Begründung für die gerichtliche Handhabung der Vorlagepflicht. Auch die Feststellung, beide Vertragstypen wiesen lediglich die Gemeinsamkeit auf, dass ein Verbraucher an ihnen beteiligt sei, ist insoweit nicht nachvollziehbar.
Ob dagegen eine Argumentation, die beispielsweise an dem unterschiedlichen Harmonisierungsgrad der betroffenen Richtlinienvorgaben angesetzt hätte (so etwa OLG Karlsruhe, Beschluss vom 9. Februar 2022 – 12 U 80/21 –, juris Rn. 13; dagegen Ebers, VuR 2022, 203 [207]), zumindest vertretbar im Sinne des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 LV gewesen wäre, bedarf keiner Entscheidung, da das Oberlandesgericht darauf nicht abgestellt hat.
ee) Soweit das Oberlandesgericht in seiner weiteren Argumentation auf den Sinn der Lebensversicherungsrichtlinien eingeht, ergibt sich auch daraus keine vertretbare Begründung für das Absehen von einer Vorlage. Denn es bildet die hier betroffenen Ziele der Lebensversicherungsrichtlinien, wie sie vom Gerichtshof der Europäischen Union bereits ausdrücklich festgestellt wurden, nur unzureichend ab. Das Oberlandesgericht führt insoweit aus, es sei Sinn der Lebensversicherungs-richtlinien, dem Verbraucher nach Vertragsschluss durch ein grundsätzlich unbefristetes Lösungsrecht vom Vertrag noch eine genaue Prüfung der übernommenen Pflichten sowie einen Vergleich mit anderen Produkten anderer Anbieter am Lebensversicherungsmarkt zu ermöglichen und dieser Zweck werde durch die Anwendung des Rechtsmissbrauchseinwands nicht gefährdet, zumal vorliegend eine – wenn auch möglicherweise nicht ordnungsgemäße – Belehrung vorgelegen habe. Allerdings hat der Gerichthof bereits ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Lebensversicherungsrichtlinien gerade auch bezweckten, dass mit ihnen sichergestellt werden soll, dass der Versicherungsnehmer insbesondere über sein Rücktrittsrecht zutreffend belehrt wird (vgl. EuGH, Urteil vom 19. Dezember 2019 – C-355/18 u.a. –, juris Rn. 71, 87 – Rust-Hackner; Urteil vom 19. Dezember 2013 – C-209/12 –, juris Rn. 25 – Endress). Bezugnehmend auf diesen Zweck und unter der Prämisse einer ordnungsgemäßen Belehrung des Versicherungsnehmers hat auch das Bundesverfassungsgericht in seinem Kammerbeschluss vom 2. Februar 2015 (– 2 BvR 2437/14 –, juris Rn. 47) die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs unbeanstandet gelassen. Denn gerade durch das Rücktrittsrecht und die zutreffende Belehrung hierüber wird die Wahlfreiheit des Versicherungsnehmers abgesichert (vgl. EuGH, Urteil vom 19. Dezember 2019 – C-355/18 u.a. –, juris Rn. 101 f. – Rust-Hackner). Außerdem hat der Gerichtshof darauf hingewiesen, dass sich der Versicherer nicht mit Erfolg auf Gründe der Rechtssicherheit berufen können soll, um einer Situation abzuhelfen, die er dadurch selbst herbeigeführt hat, dass er seiner unionsrechtlichen Obliegenheit zur Mitteilung bestimmter Informationen nicht nachgekommen ist (vgl. EuGH, Urteil vom 19. Dezember 2013 – C-209/12 –, juris Rn. 30 – Endress; Urteil vom 19. Dezember 2019 – C-355/18 u.a. –, juris Rn. 69, 109 – Rust-Hackner) und dass sich der Versicherer im Falle einer (fehlerhaften) Belehrung nicht auf eine anderweitige Kenntniserlangung des Versicherungsnehmers berufen können soll, da er anderenfalls nicht ausreichend dazu motiviert würde, seiner Verpflichtung zur zutreffenden Belehrung nachzukommen (vgl. EuGH, Urteil vom 19. Dezember 2019 – C-355/18 u.a. –, juris Rn. 89 – Rust-Hackner). Auch mit diesen Aspekten hat sich das Oberlandesgericht indes nicht auseinandergesetzt.
ff) Ebenso lässt der Verweis des Oberlandesgerichts auf die Entscheidung des Gerichtshofs vom 19. Dezember 2019 (– C-355/18 u.a. –, juris – Rust-Hackner) das Absehen von einer Vorlage nicht als vertretbar erscheinen. Der Gerichtshof hat darin die streitentscheidenden Fragen – wie bereits ausgeführt – nicht geklärt. Anderes folgt insbesondere nicht aus der vom Oberlandesgericht in Bezug genommenen Feststellung des Gerichtshofs, dass Fehler bei den mitgeteilten Informationen, die dem Versicherungsnehmer nicht die Möglichkeit des Rücktritts nehmen, dem Anlaufen der Widerspruchsfrist unter Umständen nicht entgegenstünden. Das Oberlandesgericht hat nämlich nicht geprüft, ob das hier der Fall gewesen ist. Gerade auf diesen Aspekt bezog sich aber die vom Oberlandesgericht herangezogene Feststellung des Gerichtshofs in seinem Urteil vom 19. Dezember 2019 (– C-355/18 u.a. –, juris Rn. 78 f., 81 – Rust-Hackner), wonach im Bereich der Lebensversicherungsrichtlinien die nationalen Gerichte ihre Prüfung an einer Gesamtwürdigung auszurichten hätten, bei der insbesondere dem nationalen Rechtsrahmen und den Umständen des Einzelfalls Rechnung zu tragen sei.
c) Schließlich wird die Handhabung der Vorlagepflicht in der angegriffenen Entscheidung nicht dadurch vertretbar, dass infolge des Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 9. September 2021 (– C-33/20 u.a. –, juris – Volkswagen Bank) auch andere Oberlandesgerichte von der Durchführung eines Vorabentscheidungsverfahren zur Beantwortung der hier streitgegenständlichen unionsrechtlichen Fragestellungen durch den Gerichtshof abgesehen haben (siehe etwa OLG Karlsruhe, Beschluss vom 9. Februar 2022 – 12 U 80/21 –, juris; Urteil vom 27. Januar 2022 – 25 U 107/21 –, n.v.; OLG Hamm, Urteil vom 22. September 2021 – 20 U 121/19 –, juris Rn. 36 ff.; sowie OLG Stuttgart, Hinweisbeschluss vom 10. Januar 2022 – 7 U 411/21 –, n.v.; Saarl. OLG, Urteil vom 29. April 2022 – 5 U 24/21 –, n.v.). Dies wirkt sich bereits deswegen nicht auf die verfassungsrechtliche Beurteilung aus, da es vorliegend an einer vertretbaren Begründung für das Absehen von einer Vorlage fehlt.
3. Verstoßen die angegriffenen Entscheidungen bereits gegen Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 LV, bedarf es keiner Entscheidung, ob zugleich auch der vom Beschwerdeführer gerügte allgemeine Justizgewährleistungsanspruch verletzt ist.
D.
Der Beschluss des Oberlandesgerichts Koblenz vom 2. November 2021 ist hiernach gemäß § 49 Abs. 3 VerfGHG aufzuheben. Die Sache ist an das Oberlandesgericht Koblenz zurückzuverweisen. Der ebenfalls angegriffene Beschluss vom 9. Februar 2022 wird damit gegenstandslos.
Das Verfahren ist gemäß § 21 Abs. 1 VerfGHG kostenfrei.
Die Anordnung der Auslagenerstattung zugunsten des Beschwerdeführers folgt aus § 21a Abs. 1 Satz 1 VerfGHG.
Die Festsetzung des Gegenstandswertes folgt aus § 37 Abs. 2 Satz 2 des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes – RVG –. Dieser ist in Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht oder dem Verfassungsgericht eines Landes unter Berücksichtigung der in § 14 Abs. 1 RVG genannten Kriterien – Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, Bedeutung der Angelegenheit sowie Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers – nach billigem Ermessen zu bestimmten; er beträgt mindestens 5.000,00 €.
In der verfassungsgerichtlichen Praxis ist für das Verfassungsbeschwerdeverfahren anerkannt, dass sich Auslegung und Anwendung der gesetzlichen Bewertungskriterien sowie deren Verhältnis zueinander und damit der Gegenstandswert vorrangig nach der subjektiven Bedeutung des Verfahrens für den Beschwerdeführer richten, einschließlich der weiteren Auswirkungen auf seine wirtschaftlichen Verhältnisse, seine Stellung und sein Ansehen. Zu berücksichtigen ist auch die objektive Bedeutung der Sache, wobei diese, wenn sie neben dem subjektiven Interesse eigenständiges Gewicht hat, zu einer Erhöhung und Vervielfachung des Ausgangswertes führt. Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit wirken sich nur dann werterhöhend aus, wenn sie über den Aufwand hinausgehen, welcher der Bedeutung der Sache entspricht. Die Vermögens- und Einkommensverhältnisse dienen nur der Korrektur des danach gefundenen Ergebnisses unter sozialen Aspekten (vgl. VerfGH RP, Beschluss vom 20. August 2014 – VGH B 16/14 –, AS 43, 45 f.; Beschluss vom 20. Oktober 2014 – VGH A 17/14 –, AS 43, 92 f.; Beschluss vom 27. Oktober 2017 – VGH N 2/15 –, juris Rn. 3; Beschluss vom 16. April 2020 – VGH B 19/19 –, BeckRS 2020, 7535; vgl. auch entsprechend BVerfG, Beschluss vom 28. Februar 1989 – 1 BvR 1291/85 –, BVerfGE 79, 365 [366 ff.]).
Daran gemessen ist der Gegenstandswert der Tätigkeit der Bevollmächtigten des Beschwerdeführers mit 17.319,51 € zu bemessen. Das subjektive Interesse des Beschwerdeführers an dem Verfassungsbeschwerdeverfahren ergibt sich aus seiner Klageforderung in Höhe von 17.319,51 € und ist mit diesem Betrag ausreichend erfasst.
Das Saarländische Oberlandesgericht hat mit Urteil vom 22.04.2021 (Az.: 4 U 27/20) einer Klage auf Widerruf eines endfälligen Darlehensvertrages stattgegeben. Im Darlehensvertrag hatte die Bank die Höhe der monatlichen Annuitäten nicht angegeben. Besonderheit des Falles war außerdem, dass der Widerruf einen Tag nach Ablösung des Darlehensvertrages erklärt wurde.
Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Die Parteien schlossen im Juli 2013 einen Darlehensvertrag über 50.000 € zur Finanzierung einer Immobilie. Das durch eine Grundschuld besicherte Darlehen war zu einem Zinssatz von 2,85 % (effektiv 2,95 %) p.a. am 15.8.2023 vollständig zurückzuzahlen, wobei die Rückzahlung durch die Zuteilung eines Bausparvertrags Nr. ~5 der Bausparkasse S. erfolgen sollte.
Unter Ziffer 3.1 des Vertrags heißt es:
"Sollzinssatz: Das Darlehen ist ab dem Tag der Auszahlung mit 2,85 % jährlich zu verzinsen. Dieser Sollzinssatz ist gebunden bis zum Ende der Vertragslaufzeit. Die Soll-Zinsen werden aus dem jeweiligen Darlehenssaldo berechnet. Die Soll-Zinsen sind fällig am Ultimo eines jeden Monats."
Weiterhin wird in Ziffer 3.2 des Vertrags ("Kosten, Nebenleistungen, Nettodarlehensbetrag") der Nettodarlehensbetrag von 50.000 €, eine Abschlussgebühr für den Bausparvertrag in Höhe von 500 € sowie ein Betrag für "Bausparen (Summe 50.000 €; monatlich 216 €" genannt.
Unter Ziffer 4 - Darlehensrückzahlung und Laufzeit - heißt es:
"Das Darlehen ist wie folgt zurückzuzahlen: In voller Höhe am 15.8.2023 (i.e.S.d. Zuteilung BSV ~5 der BSH). Daneben sind die Soll-Zinsen zu den vereinbarten Zinsfälligkeitsterminen zu zahlen."
Bestandteil des Darlehensvertrags ist unter Ziffer 11 eine Widerrufsinformation, auf deren Inhalt im Einzelnen Bezug genommen wird.
Die Kläger zahlten in der Folgezeit monatlich an die Bausparkasse S. die im Darlehensvertrag genannte, auf den Bausparvertrag entfallende Prämie von 216 € sowie an die Beklagte einen weiteren Betrag von 118,75 € auf das Darlehen.
Im Herbst 2018 veräußerten die Kläger die finanzierte Immobilie und lösten das Darlehen am 2.11.2018 unter Zahlung einer Vorfälligkeitsentschädigung in Höhe von 5.962,50 € ab. Sie erklärten mit Schreiben vom 3.11.2018 (Anlage K 7, Bl. 63 d.A.) den Widerruf ihrer auf Abschluss des Darlehensvertrages gerichteten Willenserklärungen. Die Beklagte wies den Widerruf zurück. Die Prozessbevollmächtigten der Kläger forderten die Beklagte mit Schreiben vom 11.1.2019 (Bl. 68 ff. d.A.) unter Fristsetzung zum 31.1.2019 vergeblich zur Zahlung eines Gesamtbetrages von 6.287,50 € auf (5.962,50 € Vorfälligkeitsentgelt und 325 € Nutzungsersatz) auf (Anlage K 13, Bl. 68 ff. d.A.).
Zur Finanzierung der Immobilie hatten die Kläger mit der früheren Beklagten zu 2, der Bausparkasse S. AG, ebenfalls im Juli 2013 noch zwei weitere Darlehensverträge über jeweils 80.000 € geschlossen (Anlage 2 und 3, Bl. 26 ff. d.A.). Auch diese beiden Darlehen wurden zeitgleich mit dem hier streitgegenständlichen Kredit jeweils gegen Zahlung einer Vorfälligkeitsentschädigung abgelöst. Die Kläger haben ihre dahingehenden Vertragserklärungen ebenfalls am 3.11.2018 widerrufen (Bl. 64 f. d.A.). Mit dem ursprünglichen Klageantrag zu 2 haben die Kläger von der Beklagten zu 2 Rückzahlung der diesbezüglich gezahlten Vorfälligkeitsentschädigungen verlangt. Das Landgericht hat mit Beschluss vom 16.5.2019 (Bl. 231 f. d.A.) das Verfahren gegen die Beklagte zu 2 gemäß § 145 ZPO unter Hinweis auf seine fehlende örtliche Zuständigkeit abgetrennt.
Die Kläger haben die Auffassung vertreten, sie hätten wegen inhaltlicher Fehler der Widerrufsinformation ihre Vertragserklärungen zu dem streitgegenständlichen Darlehensvertrag Nr. ~3 noch im Jahr 2018 widerrufen können.
Die Widerrufsinformation sei deshalb fehlerhaft, weil sie hinsichtlich des Anlaufs der Widerrufsfrist eine Kaskadenverweisung enthalte, über deren Europarechtskonformität der Europäische Gerichtshof in dem aktuell dort geführten Vorlageverfahren (Aktenzeichen des Landgerichts Saarbrücken: 1 O 164/18) zu entscheiden habe (Bl. 245 d.A.). Ein weiterer inhaltlicher Fehler liege darin, dass in Ziffer 24 der Allgemeinen Bedingungen für Kredite und Darlehen (ABKD) die Regelung des § 193 BGB abbedungen worden sei, wodurch die Widerrufsfrist verkürzt werde (Bl. 22 d.A.). Fehlerhaft werde außerdem in der Widerrufsinformation unter "Widerrufsfolgen" auf eine angebliche Pflicht zum Ersatz nicht näher bezifferter Aufwendungen gegenüber öffentlichen Stellen hingewiesen (Bl. 18 d.A.). Schließlich enthalte die Widerrufsinformation fehlerhafte Angaben zu den Rechtsfolgen eines Widerrufs der - zudem unklar definierten - Zusatzleistung Bausparen. Gegenüber dem Darlehensnehmer werde der unzutreffende Eindruck erweckt, der Widerruf eines Bausparvertrages führe dazu, dass damit auch der Darlehensvertrag mit der Beklagten zu 1 nicht mehr bindend sei (Bl. 10 f., 244 f. d.A.).
Die Kläger haben beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Kläger 6.287,50 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 1.2.2019 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat die Widerrufsinformation für ordnungsgemäß und den Widerruf der Kläger dementsprechend für verfristet gehalten. Der Bundesgerichtshof habe bereits entschieden, dass die Abbedingung des § 193 BGB nicht zur Unwirksamkeit der Widerrufsinformation führe (Beschluss vom 3.7.2018 - XI ZR 758/17). Gleiches gelte für den Hinweis auf eine mögliche Ersatzpflicht von Aufwendungen gegenüber öffentlichen Stellen (z.B. BGH XI ZR 66/16, XI ZR 467/15, XI ZR 99716, XI ZR 482/15 u.a.). Entgegen der Auffassung der Kläger stelle die Belehrung über die Zusatzleistung des Bausparvertrages keineswegs eine Abweichung vom gesetzlichen Muster dar. Bei dieser Zusatzleistung, über die die Beklagte korrekt belehrt habe, stünden den Klägern sogar mehr Rechte zu, als dies nach der Gesetzeslage der Fall wäre, weil bei Widerruf des Darlehensvertrages zugunsten der Kläger auch der Bausparvertrag beendet wäre und die Kläger somit nicht mit möglichen Verpflichtungen konfrontiert wären, die in ihrer Gesamtfinanzierung keinen Sinn mehr hätten. Der erklärte Widerruf habe somit nicht wirksam zu einem Rückabwicklungsverhältnis geführt, weshalb den Klägern die geltend gemachten Zahlungsansprüche nicht zustünden.
Mit dem am 13.3.2020 verkündeten Urteil (Bl. 255 ff. d. A.) hat das Landgericht die Klage insgesamt abgewiesen. Der Senat nimmt gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen in dem erstinstanzlichen Urteil Bezug.
Dagegen haben die Kläger Berufung eingelegt, mit der sie ihren erstinstanzlichen Klageantrag in vollem Umfang weiterverfolgen. Das Landgericht sei zu Unrecht von der Rechtmäßigkeit der von der Beklagten verwendeten Widerrufsinformation ausgegangen. Es habe den Anspruch der Kläger auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG verletzt. Es habe sich nicht damit auseinandergesetzt, dass nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urteil vom 26.3.2020, Az. C-66/19) eine Widerrufsinformation wie die vorliegende aufgrund der für den Beginn der Widerrufsfrist angegebenen Kaskadenverweisung nicht hinreichend klar und prägnant sei. Das Landgericht habe die Auffassung vertreten, dass sich die Beklagte auf die sog. Gesetzlichkeitsfiktion berufen könne. Entgegen der Ansicht des Landgerichts sei die Widerrufsinformation allerdings nicht hinreichend deutlich hervorgehoben. Sie sei vielmehr im Darlehensvertrag unter einer fortlaufenden Vertragsziffer 11 geführt; eine gegenüber anderen Vertragstexten besondere optische Hervorhebung sei nicht erfolgt, und auch Schriftart und Größe unterschieden sich nicht vom übrigen Vertragstext. Die bloße Umrahmung genüge nicht, zumal eine Passage im Folgetext zusätzlich in Fettdruck umrahmt worden sei. Dieser Umstand lasse die Gesetzlichkeitsfiktion entfallen, so dass die vom EuGH gerügte Unwirksamkeit der Widerrufsinformation durch die Kaskadenverweisung zum Tragen komme.
Ferner habe es die Beklagte pflichtwidrig unterlassen, die gesetzlichen Pflichtangaben korrekt zu benennen. Sie habe versäumt, im Darlehensvertrag die erforderlichen Angaben zu den geschuldeten monatlichen Ratenzahlungen anzugeben. Zwar habe das Darlehen bei Eintritt der Zuteilungsreife durch einen Bausparvertrag abgelöst und getilgt werden sollen. Die Kläger seien jedoch gleichwohl zur Zahlung von Zinsen verpflichtet gewesen. Gemäß Art. 247 § 3 Nr. 7 EGBGB seien Betrag, Zahl und Fälligkeit der einzelnen Teilzahlungen anzugeben. Betrag und Zahl der Raten, die jeweils zum Ultimo eines Monats fällig sein sollen, habe die Beklagte jedoch nicht benannt. Auch vor diesem Hintergrund habe die Widerrufsfrist nicht zu laufen begonnen und sei der im Jahr 2018 erklärte Widerruf wirksam gewesen.
Die Kläger beantragen,
unter Abänderung des am 13.3.2020 verkündeten Urteils des Landgerichts Saarbrücken (Az. 1 O 93/19) die Beklagte zu verurteilen, an die Kläger 6.287,50 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 1.2.2019 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil. Der Vorwurf der Verletzung rechtlichen Gehörs sei unsubstantiiert. Die Klägerseite interpretiere die Auswirkungen des EuGH-Urteils vom 26.3.2020 falsch.
Auch seien die gesetzlichen Pflichtangaben korrekt benannt. Vorliegend handele es sich um ein Tilgungsaussetzungsdarlehen, welches mit einem Tilgungsersatzinstrument, nämlich dem parallel von den Klägern zu bedienenden Bausparvertrag verknüpft worden sei. Der Kreditvertrag mit der Beklagten und der Bausparvertrag mit der Bausparkasse seien insoweit miteinander verbunden, als es sich bei dem Bausparvertrag um einen Vertrag über eine Zusatzleistung handele.
Die Beklagte sei vor diesem Hintergrund nicht gemäß Art. 247 § 3 Abs. 1 Nr. 7 EGBGB verpflichtet gewesen, die zu zahlenden monatlichen Zinsen als monatliche Rate im Darlehensvertrag zu nennen. Mit der Fälligkeit der einzelnen Teilzahlungen nach Art. 247 § 3 Abs. 1 Nr. 7 EGBGB seien nämlich nur monatliche Ratenzahlungen unter gleichzeitigem Einschluss eines Tilgungsanteiles gemeint. Der Begriff der Rate könne schon begrifflich nur in diesem Sinne verstanden werden. Diese Auffassung sei mittlerweile auch in Literatur und Rechtsprechung bestätigt worden. Die vertraglichen Regelungen seien transparent und verständlich. Dass die Kläger für die Zurverfügungstellung des Kapitals monatliche Zinsen in bestimmten Abständen zu zahlen hatten, ergebe sich aus dem Text und der Natur des Darlehensvertrages. Bei einem endfälligen Darlehen, in dem lediglich Zinsraten während der Laufzeit zu erbringen seien, bestehe keine Angabepflicht nach Art. 247 § 3 Abs. 1 Nr. 7 EGBGB, eben weil es an "Teilzahlungen" fehle. Da mit dem Bausparvertrag ein weiterer Vertrag mit einer Zusatzleistung vorliege, richteten die Informationspflichten sich nach Art. 247 § 8 EGBGB, wonach die Zeiträume und Bedingungen für die Zahlung der Sollzinsen und der damit verbundenen wiederkehrenden und nicht wiederkehrenden Kosten im Vertrag anzugeben seien, wenn die vom Darlehensnehmer geleisteten Zahlungen nicht der unmittelbaren Darlehenstilgung dienten. Im vorliegenden Fall seien also die Prämienzahlungen für dieses als Teilzahlungen im Sinne des Art. 247 § 3 Abs. 1 Nr. 7 EGBGB anzusehen, soweit die Ansparleistungen durch wiederholte Prämienzahlungen und nicht durch einen kreditfinanzierten Einmalbetrag erfolgt seien. Da im vorliegenden Fall unstreitig eine monatliche Rate von 216 € auf den Bausparvertrag zu zahlen gewesen sei bei einem Zinssatz von 2,85 % p.a., werde auch in dieser Konstellation klar, dass der rechnerische Zinsbetrag auf den Darlehensbetrag von 50.000 € nicht explizit als Zahl genannt werden müsse. Durch die klaren Angaben im Vertrag sei die Höhe des monatlichen Zinsbetrags eindeutig zu errechnen und betrage 50.000 € x 2,85 % p.a. / 12 Monate = 118,75 €. Exakt dieser Betrag finde sich auch wieder im Zins- und Tilgungsplan, der den Klägern ausgehändigt worden sei.
Da unter Ziffer 4 des Darlehensvertrags vereinbart worden sei, dass die Darlehensrückzahlung "im engeren Sinne durch Zuteilung eines Bausparvertrags" unter der dort genannten Nummer erfolgen solle, der bis zum 15.8.2013 laufe, und die Darlehenslaufzeit exakt auf den gleichen Zeitraum vereinbart worden sei, liege der Ausnahmefall des Art. 247 § 6 Abs. 1 Satz 3 EGBGB vor, wonach abweichend von § 3 Abs. 1 Nr. 7 die Anzahl der Teilleistungen nicht anzugeben sei, wenn die Laufzeit des Darlehensvertrags von dem Zeitpunkt der Zuteilung eines Bausparvertrags abhänge.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und die Sitzungsniederschrift des Landgerichts vom 28.2.2020 (Bl. 253 f. d. A.) und des Senats vom 25.3.2021 (Bl. 329 ff. d. A.) Bezug genommen.
Das Landgericht Ravensburg hat mit Urteil vom 23.08.2022 (Aktenzeichen: 2 O 212/21) einem Verbraucher ermöglicht, ein 2016 finanzierten Hyundai i30 wegen Widerrufs des Darlehensvertrages zurückzugeben. Der Kläger schuldet der Bank Anspruch auf Wertersatz für den eingetretenen Wertverlust, soweit dieser auf einen Umgang mit dem Fahrzeug zurückzuführen ist, der zur Prüfung der Beschaffenheit, der Eigenschaften und der Funktionsweise des Fahrzeugs nicht notwendig war.
Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Der Kläger schloss mit der beklagten Bank am 22.03.2016 einen Darlehensvertrag über einen Nettodarlehensbetrag von 9.402,- €, der zweckgebunden dem Kauf eines Kraftfahrzeugs Hyundai i30 zur privaten Nutzung diente. Der Kaufpreis belief sich auf einen Betrag von 14.280,- €. Der Kläger leistete eine Anzahlung von 5.280,- € an die Verkäuferin und finanzierte den restlichen Betrag von 9.000,- € und eine Restschuldversicherungsprämie von 402,- € über das vorgenannte Darlehen. Die Beklagte bediente sich bei Vorbereitung und Abschluss des Darlehensvertrages der Mitwirkung der Verkäuferin als Darlehensvermittlerin. Vereinbart wurde im Darlehensvertrag weiter, dass der Kläger die Darlehenssumme von 9.836,87 € (Nettodarlehensbetrag von 9.402,- € zuzüglich Zinsen von 434,87 €) ab 15.05.2016 mittels einer Rate von 246,87 und 35 gleichbleibenden Monatsraten in Höhe von jeweils 274,- € zurückzuzahlen hat. Der Kläger hat sämtliche vorgenannten Ratenzahlungen erbracht.
Mit Schreiben vom 01.03.2021 widerrief der Kläger seine auf den Abschluss des Darlehensvertrages gerichtete Willenserklärung.
Mit Urteil vom 02.11.2021 (Aktenzeichen: 6 U 32/19) hat das Oberlandesgericht Stuttgart als erstes Obergericht in Deutschland die neue Rechtsprechung des EuGH in dessen Urteil vom 09.09.2021 angewendet und ein erstinstanzliches klageabweisendes Urteil gegen einen Verbraucher aufgehoben.
Dem Urteil des OLG Stuttgart lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Aufgrund des Antrags der Klägerin vom 24.7.2014 kam mit der beklagten Bank ein Darlehensvertrag zustande. Der Nettodarlehensbetrag in Höhe von 28.900,00 € diente der Klägerin zur teilweisen Finanzierung des Kaufs eines Fahrzeugs der Marke M. bei der T. GmbH zu einem Preis von 41.400,00 €. Den nicht finanzierten Teil des Kaufpreises (12.500,00 €) leistete die Klägerin als Anzahlung an die Verkäuferin. Vor Ende der Laufzeit erklärte die Klägerin mit Schreiben vom 4.7.2018 den Widerruf ihrer Vertragserklärung.
Der Darlehensvertrag wurde im Juli 2018 widerrufen.