Darlehensvertrag mit 8,83 % Zinsen ist sittenwidrig

Mit Urteil vom 18.09.2020 (Az.: 1 O 79/20) hat das Landgericht Saarbrücken den Darlehensvertrag in dem sich der vereinbarte Sollzinssatz auf 8,83% p.a. und  der effektive Jahreszinssatz auf 11,11% p.a belief, als sittenwidrig angesehen.

Hintergrund war die Klage einer Bank gegen ihren Kunden auf Rückzahlung der Darlehensvaluta wegen Sittenwidrigkeit zurückgewiesen.

 

Mit Darlehensvertrag vom 24.8.2017 gewährte die Klägerin dem Beklagten ein Darlehen über 7.500,00 € netto, welches an den Beklagten ausgezahlt wurde. Ausweislich des Darlehensvertrages (Bl. 14 d. A.) schuldete der Beklagte zusätzlich 3% des Nettodarlehensbetrages als Maklerkosten (225,00 €). Der vereinbarte Sollzinssatz belief sich auf 8,83% p.a.; der effektive Jahreszinssatz auf 11,11% p.a.

 

Es wurde eine Rückzahlung in 40 Monatsraten zu 225,30 € vereinbart, sodass eine Gesamtsumme von 9.012,00 € zurückzuzahlen war. Die Raten sollten jeweils am 1. des Monats geleistet werden, erstmals am 1.11.2017.

 

Bislang leistete der Beklagte 3.936 €. Aufgrund unregelmäßiger Zahlungen wurde er zwei Mal gemahnt, am 12.3.2018 und am 5.11.2019.

 

Nachdem der Beklagte mit mehr als zwei Monatsraten und mehr als 5% des Nennbetrages im Rückstand war, erfolgte am 27.12.2019 die Kündigung des Darlehens.

 

Nach der Forderungsberechnung der Klägerin verbleibt nach der Kündigung ein Soll von 5.029,67 €

 

Das Landgericht begründete sein Urteil auszugsweise wie folgt:

 

1.

Ein Darlehensvertrag ist als wucherähnliches Geschäft nichtig, wenn zwischen den Leistungen des Darlehensgebers und den durch einseitige Vertragsgestaltung festgelegten Gegenleistungen des Darlehensnehmers ein auffälliges Missverhältnis besteht und der Darlehensgeber die wirtschaftlich schwächere Lage des Darlehensnehmers, dessen Unterlegenheit, bei der Festlegung der Darlehensbedingungen bewusst zu seinem Vorteil ausnutzt (BGH, Urteil vom 12.3.1981 - III ZR 92/79, BGHZ 80, 153-172). Wichtigste Bewertungsgrundlage ist dabei ein Vergleich des effektiven Vertragszinses mit dem marktüblichen Effektivzins. Der Bundesgerichtshof bejaht ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung grundsätzlich erst dann, wenn der Vertragszins rund doppelt so hoch ist wie der Marktzins (BGH, Urteil vom 13.3.1990 - XI ZR 252/89, juris). Nach diesen Maßstäben liegt ein auffälliges Missverhältnis zwischen dem vereinbarten effektiven Jahreszinssatz von 11,11% und dem marktüblichen Effektivzins vor. Der marktübliche Effektivzins beläuft sich nach der Zinsstatistik SUD 114 für Darlehensverträge, die im August 2017 abgeschlossen wurden, auf 4,54% p.a. Selbst wenn man, was keiner Entscheidung bedarf, aufgrund der anhaltenden Niedrigzinsphase eine Überschreitung des marktüblichen Zinses um 110% noch hinnehmen würde (BGH, Urteil vom 11.12.1990 - XI ZR 69/90, NJW 1991, 834), läge dennoch ein auffälliges Missverhältnis vor.

 

2.

a) Der marktübliche Effektivzins ist durch ein Heranziehen der MFI Zinsstatistik zu ermitteln.

 

aa) Zwar hat der Bundesgerichtshof im Zusammenhang mit der Rückabwicklung eines Darlehensvertrages nach erklärtem Widerruf für die Bemessung der Gebrauchsvorteile entschieden, dass die MFI-Zinsstatistik den marktüblichen Zins nicht betragsscharf abbilden will und kann (BGH, Urteil vom 12.3.2019 - XI ZR 9/17, NJW-RR 2019, 820; BGH, Beschluss vom 12.9.2017 - XI ZR 365/16, WM 2017, 2146, der jedoch auch die MFI Zinsstatistik innerhalb einer bestimmten Marge heranzieht). Ob dies gleichermaßen für die Beurteilung der Sittenwidrigkeit gilt, ist jedoch nicht entschieden (ausdrücklich offengelassen von OLG Oldenburg, Urteil vom 24. 5. 2011 - 13 U 66/10, NJOZ 2011, 1169).

 

 

bb) In der Literatur wird eine Heranziehung der MFI-Zinsstatistik zur Beurteilung der Sittenwidrigkeit überwiegend verneint. So wird darauf hingewiesen, dass die Zinsstatistik sich aus ganz unterschiedlichen Kundengruppen, Kreditbeträgen, Laufzeiten und Absicherungen zusammensetze. Daher solle der marktübliche Zins durch ein Sachverständigengutachten oder die Befragung der Bundesbank ermittelt werden (Schimansky/Bunte/Lwowski/Pamp Bankrechts-Handbuch § 82 Rn. 24; Staudinger/Freitag § 488 Rn. 136; OLG Zweibrücken, Hinweis- und Beweisbeschl. vom 10.5.2010 - 7 U 84/09, VuR 2010, 307).

 

 

cc) Trotz dieser Bedenken schließt sich die Kammer der Rechtsprechung des Landgerichts Bonn (LG Bonn, Urteil vom 10.5.2007 - 3 O 396/05, BKR 2008, 78) an, nach welchem die MFI Zinsstatistik taugliche Vergleichsgrundlage zur Ermittlung des marktüblichen Zinssatzes ist. Mit der Übertragung der Kompetenzen zur Ermittlung eines Durchschnittszinssatzes auf die EZB hat der deutsche Gesetzgeber in dem Bewusstsein gehandelt, dass dieser Durchschnittszinssatz auch im Rahmen der Sittenwidrigkeit zugrunde zu legen ist (Reifner, VuR 2005, 370). Letztlich wiegt auch das Interesse an Rechtssicherheit grundsätzlich schwerer als das Bedenken, die ausschließliche Orientierung an der MFI-Zinsstatistik gehe von einer Homogenität des Kapitalmarktes aus, die es nicht gebe (MüKo/Armbrüster § 138 Rn. 119). Nachträglich lassen sich im einzelnen Zivilprozess mit vertretbarem Aufwand nur Feststellungen unter Heranziehung einer Zinsstatistik treffen (hierauf stellt auch BGH, Urteil vom 11.12.1990 - XI ZR 69/90, NJW 1991, 834 ab).

 

dd) Auch die Bildung eines Sondermarktes für besonders risikoreiche Darlehen an Darlehensnehmer mit geringster Bonität ist abzulehnen. Die MFI-Zinsstatistik soll nach ihrer Beschreibung (etwa abrufbar unter https://www.bundesbank.de/dynamic/ action/de/statistiken/zeitreihen-datenbanken/zeitreihen-datenbank/723452/723452? tsTab=2& tsId=BBK01.SUD114& listId=www_s510_ph2_neu& id=0) einen volumen-gewichteten Durchschnittssatz über alle im Laufe des Berichtsmonats abgeschlossenen Neuvereinbarungen geben. Sinn und Zweck der Sittenwidrigkeitsprüfung ist es zudem gerade, dass ein „Normalwert“ als Vergleichsgrundlage ermittelt wird. Dass es sich dabei nur um eine Näherung handeln kann, ist selbstverständlich. Jedoch widerspricht es dem Sinn der Ermittlung einer Vergleichsgrundlage, wenn der Markt - um genauere Ergebnisse zu erzielen - immer weiter aufgespalten wird und somit kein Durchschnittswert mehr verbleibt, sondern nur ein punktueller Ausschnitt des Marktes. Es steht dem Darlehensgeber frei, ein angenommenes Kreditrisiko in die Kalkulation des Zinssatzes mit einzubeziehen. Jedoch kann dies nur in den Grenzen des § 138 Abs. 1 BGB gelten. Daher ist der Darlehensgeber gehalten, den ihm innerhalb der 100%-Grenze eröffneten Spielraum zu beachten.

 

b) Innerhalb der MFI Zinsstatistik ist die Zinsreihe SUD 114 heranzuziehen.

 

aa) Entgegen der Auffassung der Klägerin ist die Reihe SUD 130 nicht geeignet, den Marktzins für ein vergleichbares Darlehen zu berechnen. Diese bezieht sich auf die Zinssätze von Konsumentenkrediten an private Haushalte (effektiver Jahreszinssatz einschl. Kosten). Sie lässt jedoch unberücksichtigt, dass es sich vorliegend um ein Darlehen mit einer anfänglichen Zinsbindung handelt, welches in anderen Reihen der Zinsstatistik abgebildet wird.

 

bb) Ebenfalls ist die Zinsstatistik SUD 188 nicht heranzuziehen. Diese betrifft alle im Laufe des Berichtsmonats neu verhandelten Kredite. Vorliegend handelt es sich jedoch nicht um einen neu verhandelten Kredit in Bezug auf einen bestehenden Darlehensvertrag, sondern um einen neu abgeschlossenen Vertrag.

 

cc) Vielmehr ist die Zinsstatistik SUD 114 einschlägig. Diese betrifft die Zinssätze von Konsumentenkrediten an private Haushalte mit einer anfänglichen Zinsbindung über 1 bis 5 Jahre. Für Darlehensverträge, die im August 2017 abgeschlossen wurden, weist diese einen Durchschnittszinssatz von 4,54% aus. Dies ändert sich auch nicht dadurch, dass offen Maklerkosten in Höhe von 225,00 € ausgewiesen wurden. Diese sind nach der Rechtsprechung des BGH zwar bei der Berechnung des Vertragszinses, nicht aber bei der Berechnung des marktüblichen Zinses zu berücksichtigen (BGH, Urteil vom 2.10.1986 - III ZR 163/85, NJW 1987, 181; Staudinger/Fischinger § 138 Rn. 255). Die Einschaltung eines Vermittlers liegt nämlich vorliegend allein im Interesse der Klägerin, die mangels eigener inländischer Filialen ansonsten keine Möglichkeit hätte, potentielle Kunden zu erreichen.

262. Aufgrund des auffälligen Missverhältnisses zwischen dem vereinbarten effektiven Jahreszinssatzes und dem marktüblichen Vergleichszinssatzes wird vermutet, dass die Klägerin auch in subjektiver Hinsicht vorsätzlich oder grob fahrlässig die schwächere Lage des Beklagten ausgenutzt hat (BGH, Urteil vom 11.1.1995 - VIII ZR 82/94). Umstände, die geeignet sind, diese Vermutung zu widerlegen, hat die Klägerin nicht vorgetragen.

 

3. Ein Anspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB ist nicht streitgegenständlich, sodass es hierüber keiner Entscheidung bedarf.