Der Bundesgerichtshof hat mit zwei Beschluüssen vom 31.03.2020 (Aktenzeichen: XI ZR 581/18 und XI ZR 198/19) zum EuGH-Urteil vom 26.03.2020 Stellung bezogen.
Im Verfahren XI ZR 581/18 ging es um den Widerruf eines Immobiliardarlehensvertrages. Der BGH ist der Ansicht, dass das EuGH-Urteil auf diesen Sachverhalt keine Bindung entfaltet.
Wörtlich führt der BGH aus:
"Die Nichtzulassungsbeschwerde der Kläger gegen den Beschluss des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 15. Oktober 2018 wird zurückgewiesen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts sowie die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts nicht erfordern (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO).
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist der Verweis in der Widerrufsinformation auf § 492 Abs. 2 BGB in Kombination mit der beispielhaften Aufzählung von Pflichtangaben nach den Maßstäben des nationalen Rechts (Art. 247 § 6 Abs. 1 EGBGB) klar und verständlich (Senatsurteile vom 22. November 2016 - XI ZR 434/15, BGHZ 213, 52 Rn. 18 ff. und vom 4. Juli 2017 - XI ZR 741/16, WM 2017, 1602 Rn. 19 ff., Senatsbeschluss vom 19. März 2019 - XI ZR 44/18, WM 2019, 864 Rn. 15 f.).
Der Gerichtshof der Europäischen Union (nachfolgend: EuGH) hat mit Urteil vom 26. März 2020 (C-66/19, juris - Kreissparkasse Saarlouis) entschieden, dass Art. 10 Abs. 2 Buchst. p der Richtlinie 2008/48 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2008 über Verbraucherkreditverträge und zur Aufhebung der Richtlinie 87/102/EWG des Rates (ABl. 2008, L 133, S. 66, berichtigt in ABl. 2009, L 207, S. 14, ABl. 2010, L 199, S. 40 und ABl. 2011, L 234, S. 46 - nachfolgend: Verbraucherkreditrichtlinie) dahin auszulegen ist, dass er dem entgegensteht, dass ein Kreditvertrag hinsichtlich der in Art. 10 dieser Richtlinie genannten Angaben auf eine nationale Vorschrift verweist, die selbst auf weitere Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaates verweist.
Diese Entscheidung ist für den vorliegenden Fall nicht einschlägig, da es hier um einen grundpfandrechtlich besicherten Immobiliardarlehensvertrag geht, auf den die Verbraucherkreditrichtlinie nach ihrem Art. 2 Abs. 2 Buchst. a und c keine Anwendung findet (Senatsbeschluss vom 19. März 2019 - XI ZR 44/18, WM 2019, 864 Rn. 17; EuGH, Urteil vom 26. März 2020 - C-66/19, juris Rn. 25 - Kreissparkasse Saarlouis). Wie nationale Vorschriften auszulegen sind, die nicht in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fallen, und ob ihre Auslegung durch das vorlegende Gericht richtig ist, fällt in die ausschließliche Zuständigkeit der nationalen Gerichte (EuGH, Urteil vom 26. März 2020 - C-66/19, juris Rn. 31 - Kreissparkasse Saarlouis). Entgegen der Ansicht des vorlegenden Landgerichts Saarbrücken (WM 2019, 1444 Rn. 8; vgl. auch EuGH, Urteil vom 26. März 2020 - C-66/19, juris Rn. 18 - Kreissparkasse Saarlouis) hat der deutsche Gesetzgeber die Verbraucherkreditrichtlinie nicht für Immobiliardarlehen als maßgeblich erachtet. Die Bundesrepublik Deutschland hat in ihrer Stellungnahme zur Vorlage durch das Landgericht Saarbrücken die Zuständigkeit des EuGH gerügt, weil der deutsche Gesetzgeber trotz der ihm vom Unionsgesetzgeber eingeräumten Befugnis keine Entscheidung getroffen hat, die in der Richtlinie vorgesehene Regelung auf nicht in ihren Geltungsbereich fallende Bereiche wie den Bereich der grundpfandrechtlich gesicherten Verbraucherkreditverträge anzuwenden (vgl. EuGH, Urteil vom 26. März 2020 - C- 66/19, juris Rn. 23 - Kreissparkasse Saarlouis). Das deutsche Recht hat auch schon vor der Verabschiedung der Verbraucherkreditrichtlinie eine Regelung für solche Verträge vorgesehen. Da diese Regelung als richtlinienkompatibel angesehen worden ist, hat der deutsche Gesetzgeber es lediglich für sachgerecht gehalten, die Vorschriften für den Verbraucherkredit und für grundpfandrechtlich gesicherte Darlehen zusammenzufassen (vgl. EuGH, Urteil vom 26. März 2020 - C-66/19, juris Rn. 24 - Kreissparkasse Saarlouis).
Nach alledem bleibt es für den vorliegenden Immobiliardarlehensvertrag ausschließlich bei den oben genannten Grundsätzen des nationalen Rechts, nach denen die streitgegenständliche Widerrufsinformation klar und verständlich ist.
Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 544 Abs. 6 Satz 2 Halbs. 2 ZPO abgesehen."
2.
Im Verfahren XI ZR 581/18 ging es um den Widerruf eines Autokreditvertrages. Der BGH ist der Ansicht, dass die dortige Bank sich auf die sog. Gesetzlichkeitsfiktion berufen kann.
Wörtlich führte der BGH aus:
Der Anwendung der Gesetzlichkeitsfiktion steht das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 26. März 2020 (C-66/19, juris - "Kreissparkasse Saarlouis") nicht entgegen, in dem der Gerichtshof entschieden hat, Art. 10 Abs. 2 Buchst. p der Richtlinie 2008/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2008 über Verbraucherkreditverträge und zur Aufhebung der Richtlinie 87/102/EWG des Rates (ABl. 2008, L 133, S. 66, berichtigt in ABl. 2009, L 207, S. 14, ABl. 2010, L 199, S. 40, und ABl. 2011, L 234, S. 46) sei dahin auszulegen, dass er dem entgegenstehe, dass ein Kreditvertrag hinsichtlich der in Art. 10 dieser Richtlinie genannten Angaben auf eine nationale Vorschrift verweise, die selbst auf weitere Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats verweise. Dies betrifft den in dem Muster in Anlage 7 zu Art. 247 § 6 Abs. 2 und § 12 Abs. 1 EGBGB aF enthaltenen Verweis auf § 492 Abs. 2 BGB in Kombination mit der beispielhaften Aufzählung von Pflichtangaben nach Art. 247 § 6 Abs. 1 EGBGB, der auf der Grundlage des Urteils des Gerichtshofs (aaO Rn. 48) nicht "in klarer, prägnanter Form über die Frist und die anderen Modalitäten für die Ausübung des Widerrufsrechts" informieren würde.
Der Senat müsste sich aber, um dem Geltung zu verschaffen, gegen die ausdrückliche Anordnung des Gesetzgebers in Art. 247 § 6 Abs. 2 Satz 3 EGBGB aF stellen, wonach - wie hier - eine in dem Darlehensvertrag in hervorgehobener und deutlich gestalteter Form enthaltene und dem Muster in Anlage 7 zu Art. 247 § 6 Abs. 2 und § 12 Abs. 1 EGBGB aF entsprechende Widerrufsinformation den Anforderungen an eine klare und verständliche Information des Darlehensnehmers über das ihm nach § 495 BGB zukommende Widerrufsrecht genügt. Das verbietet dem Senat das in Art. 20 Abs. 3 GG verankerte Rechtsstaatsprinzip. Die Beachtung des klar erkennbaren Willens des Gesetzgebers ist Ausdruck demokratischer Verfassungsstaatlichkeit. Dies trägt dem Grundsatz der Gewaltenteilung (Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG) Rechnung. Das Gesetz bezieht seine Geltungskraft aus der demokratischen Legitimation des Gesetzgebers, dessen artikulierter Wille den Inhalt des Gesetzes daher mitbestimmt. Der klar erkennbare Wille des Gesetzgebers darf nicht übergangen oder verfälscht werden. So verwirklicht sich die in Art. 20 Abs. 3 und Art. 97 Abs. 1 GG vorgegebene Bindung der Gerichte an das Gesetz, weil dies eine Bindung an die im Normtext zum Ausdruck gebrachte demokratische Entscheidung des Gesetzgebers ist (BVerfGE 149, 126 Rn. 75).
Stellungnahme der Kanzlei Stenz & Rogoz:
Die beiden Beschlüsse des BGH sind "mit heißer Nadel gestrickt". Das Urteil des EuGH datiert vom 26.03.2020. Bereits am 31.03.2020 erließ der BGH damit Beschlüsse, die gar nicht hätten ergehen dürfen. Denn Voraussetzung hierfür wäre, dass die Sache "keine grundsätzliche Bedeutung" hat. Dies anzunehmen ist - verfolgt man die Schlagzeilen in den Medien zum EuGH-Urteil - geradezu grotesk.
Im Übrigen steht der BGH im deutlichen Widerspruch zum EuGH. Dieser hatte in den Randzahlen 27 und 28 seines Urteils u.a. ausgeführt:
28 Der Gerichtshof hat wiederholt seine Zuständigkeit für die Entscheidung über Vorabentscheidungsersuchen bejaht, die Unionsvorschriften in Fällen betrafen, in denen der betreffende Sachverhalt nicht unter das Unionsrecht und daher allein in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fiel, aber diese Unionsvorschriften aufgrund eines Verweises im nationalen Recht auf ihren Inhalt galten (Urteil vom 12. Juli 2012, SC Volksbank România, C‑602/10, EU:C:2012:443, Rn. 86 und die dort angeführte Rechtsprechung).
29 Dabei hat er namentlich betont, dass dann, wenn sich nationale Rechtsvorschriften zur Regelung von Sachverhalten, die nicht in den Geltungsbereich des betreffenden Unionsrechtsakts fallen, nach den in diesem Rechtsakt getroffenen Regelungen richten, ein klares Interesse der Union daran besteht, dass die aus diesem Unionsrechtsakt übernommenen Bestimmungen einheitlich ausgelegt werden, um künftige Auslegungsunterschiede zu verhindern (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. Oktober 2017, Solar Electric Martinique, C‑303/16, EU:C:2017:773, Rn. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Die Kanzlei Stenz & Rogoz geht davon aus, dass der EuGH bei nächster Gelegenheit nochmals ausführlich darstellen wird, dass die Verbraucherkreditrichtlinie auch auf Immobiliardarlehensverträge in Deutschland Anwendung findet.
Unabhängig davon kann sich der BGH der Wertung der europäischen Rechtsprechung, wonach der Kaskadenverweis nicht in klarer und prägnanter Form über den Beginn der Widerrufsfrist aufklärt. So bestimmt auch Art. 247 § 6 Absatz 1 EGBGB, dass die Informationen über das Widerrufsrecht "klar und verständlich" in den Vertrag aufgenommen sein müssen. Damit hat der deutsche Gesetzgeber nahezu wörtlich die europäischen Vorgaben übernommen. Hieran muss er sich festhalten lassen.